In den Wissenschaftsblogs Wissenswerkstatt und Begrenzte Wissenschaft arbeiten sich die Blogger-Kollegen dieser Tage an der Wissenschaftsrezeptionsfähigkeit der Printjournalisten von SZ, SPIEGEL, Welt & Co. ab. So löblich das Ziel sein mag, der gedruckten Presse zu belegen, wie oberflächlich und mit wenig Sachverstand sie zu Werke geht, so wenig eignet sich nun ausgerechnet der hierfür gewählte Gegenstand, eine Beobachtungsstudie des britischen Dermatologen Sam Shuster: Sex, aggression, and humour: responses to unicycling.
Klar können sich die beckmesserischen Blogger begründet beschweren, dass die hochbezahlten Wissenschaftsjournalisten das Augenzwinkern des Autors übersehen. Klar können Sie eine Reihe von Kriterien aufführen, warum Shusters Arbeit nicht die Kriterien für objektive, nachprüfbare Wissenschaft erfüllt. Klar lässt sich einflechten, wie gut man selber weiß, was Wissenschaft ist – und vor allem, was nicht.
Allerdings offenbaren diese Kritiken ein eher eindimensionales und daher beschränktes Verständnis dessen, was Wissenschaft ist. Einzelfallstudien, ethnographische Beschreibungen, standardisierte Beobachtungen können nach dieser Lesart niemals Wissenschaft sein. Dass wissenschaftliche Objektivität häufig eine Fiktion ist und kaum herstellbar, weil menschliche Subjekte die Wissenschaft betreiben, scheint beiden Bloggern nicht denkbar.
Vielmehr machen sie einen Gegensatz auf zwischen Shuster und jener richtigen Wissenschaft, die uns ihrerseits täglich mit frischem Nonsens, Lug und Trug versorgt: Medikamentenstudien, aufgehübscht mit statistischen Tricks. Leukämiestudien, die Zusammenhänge mit Atomkraftwerksstandorten (wirklichen und geplanten) herausfinden. Auf gefälschtem Material basierende Zell-Experimente. Hysterische Klimaveränderungsberichte, die nun begründen helfen, warum wir doch neue Atomkraftwerke brauchen. Oder die Tabakindustrie, die jahrzehntelang ihre wissenschaftliche Meinung von der Ungefährlichkeit der Tabakfolgewirkungen unter die Leute brachte. Gegen all das ist Shusters Arbeit eine Perle der Wissenschaft!
Darauf sollten die Wissenschaftsjournalisten aufmerksam gemacht werden: Dass sie sich in neun von zehn Fällen zum Sprachrohr von schlechter Wissenschaft machen, möge sie auch noch so objektiv, nachprüfbar oder gar seriös daherkommen.
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Ich möchte eigentlich noch hinzufügen, dass Shusters seinen Artikel nie anders als als Witz gesehen haben wollte. Grundsätzlich kann man auch mit Einzelbeobachtungen Wissenschaft voranbringen: etwa in der Soziologie oder in der Ethnologie, wo solche Vorarbeiten elementar ein können.
Aber das wollte Shuster ja nicht. Der Witz ist ja nicht, dass er von Männern mehr dumme Sprüche gekriegt hat oder dass er Einrad gefahren ist. Sondern dass er danach fast schon absurd übertrieben hat: mehr dumme Sprüche entspricht mehr Witz und damit, Witzigkeit kommt vom Testosteron. An der Stelle ist es dann eben keine (vielleicht etwas belanglose, aber ernsthafte) wissenschaftliche Untersuchung. Und das ist eben auch das, was die Journalisten daraus gemacht haben. Und damit sind sie eben auf den Witz reingefallen.
Im Übrigen verstehe ich die Kritik an „echter Wissenschaft“ nicht. Es sind doch gerade die Journalisten, die auf einen so offensichtlichen Witz reinfallen, die im Zweifelsfall dann auch nicht hinterfragen, welche Lobby eine Studie bezahlt hat oder wie Wissenschaftler die Ergebnisse ihrer Arbeit hochspielen und als der Weisheit letzter Schluss verkaufen wollen.
Wenn ich für einen sorgfältigen und kritischen Wissenschaftsjournalismus plädiere, dann doch eben um solche Fehler in Zukunft vermeidbar zu machen.
Hallo Thomas,
Du hast mit Deinem Kommentar natürlich Recht, aber zugleich liegst Du auch schief.
Zunächst: ja, es gibt auch jenseits standardisierter Wissenschaft (die oftmals nur Scheineindeutigkeiten liefert) einen Bereich, der legitim und wichtig ist. Ich bin selbst (Wissenschafts-)Soziologe und wäre der allerletzte, der so naiv wäre, zu behaupten, daß es nur einen Weg gäbe, um an mehr „Wissen“ zu gelangen.
Ich habe selbst schon häufig auf die Kontextualität jeder (!) Wissenschaft, ihre Beobachterabhängigkeit, ihre niemals endgültig zu kontrollierenden Randbedingungen hingewiesen. Und natürlich gibt es Platz für qualitative Wissenschaftsformen wie „teilnehmende Beobachtung“, Einzelfallstudien oder andere „verstehende“ Zugänge. (Übrigens bin ich selbst kein „quantitativer“ Soziologe, sondern arbeite „qualitativ“…)
Die Frage ist aber diejenige, nach einer höchstmöglichen Gegenstandsadäquanz und das Bemühen um Richtigkeit. Und: man muß gute Gründe anführen (können), weshalb man die eine Vorgehensweise gewählt hat und keine andere.
Mit anderen Worten: was ich den Wissenschaftsjournalismuskollegen vorwerfe, ist ja genau diese Naivität, die einen Artikel relativ unreflektiert ernst nimmt, nur weil er in einem renommierten Journal publiziert ist.
Ich wünschte mir stattdessen ein genaueres Hinsehen und eine größere Offenheit gegenüber unkonventionelleren Forschungsmethoden – denn Ergebnisse sind nicht nur dann relevant, wenn man sie mit einer Statistik untermauern kann.
Wenn sich der Autor einer Studie aber gar nicht erst bemüht, seine Beobachtungen in den Forschungsstand einzuordnen und fast schon in Münchhausen-Manier behauptet, er habe seine Erkenntnisse allein kraft seiner ureigenen Beobachtungen gewonnen (so wie Sam Shuster), dann sollte man doch hellhörig werden. Egal, ob es sich nun um medizinische oder psychologische Studien handelt…