Paar-Vignette 1: Egoismus und Altruismus

Teil 1: Neid und Konkurrenz bei Paaren

Teil 21: Wie kommt der Neid in die Liebesbeziehung?
Teil 22: Die neue Konkurrenz zwischen den Geschlechtern
Teil 23: So haben sich Liebesbeziehungen gewandelt
Teil 24: Frauen haben ein neues Rollenverständnis in der Liebesbeziehung

Möchten wir auch in einer Liebesbeziehung die eigenen Entwürfe verwirklichen, so stoßen wir schnell auf Schwierigkeiten. Jürg Willi (2002, S.40) beschreibt eine Reihe von Zwickmühlen, denen wir uns gegenübersehen. Diese Gegensätze liegen möglichen Missverständnissen, Zurücksetzungen und Konflikten zugrunde. Aus ihnen resultieren wiederum Paardynamiken, die zu Neid zwischen den Partnern führen können.

Egoismus und Altruismus

Im Dilemma von Eigennutz und Selbstlosigkeit drückt sich die Spannung zwischen dem Einsatz für die eigenen Ziele und der Rücksicht auf die Ziele des Partners aus. Wir alle hoffen, uns in der Beziehung entfalten zu können und unser Potenzial für uns selbst zu nutzen. Doch es liegt in unserem Interesse, der Selbstentfaltung des Partners ebenfalls solchen Raum zu geben. Schieflagen entstehen, wenn die Aufgabenverteilung in der Beziehung nur einem Partner nutzt, während der andere keine Chance sieht, die eigenen Interessen zu verfolgen.

Vignette 1: Ein Paar, seit 25 Jahren verheiratet, drei Kinder, sie Hausfrau, er leitender Angestellter, er belegt zum wiederholten Mal eine Weiterbildung in einer anderen Stadt.

Sie: „Ich habe mich jahrelang abgerackert, die Kinder aus dem Gröbsten gebracht und dir den Rücken freigehalten. Jetzt bin ich mal dran!“
Er: „Warum bist du plötzlich so aggressiv?“
Sie: „Weil ich von dir nur immer vertröstet werde.“
Er: „Ich will nur noch diesen einen Kurs belegen … Dann …“
Sie: „Weißt du, wie oft ich das schon von dir gehört habe? Zu oft. Ich werde nicht länger in meiner Ecke bleiben. Ich muss mal was für mich tun. Nicht immer nur für dich oder die Kinder.“

Diese Frau erträgt es nicht länger, immer wieder ausgebootet und in die zweite Reihe verwiesen zu werden. Sie kann das böse N-Wort nicht aussprechen, aber der Neid auf ihren Ehemann, gerade auch der Neid darauf, so gut für die eigenen Interessen zu sorgen, lässt sie nicht länger schweigen. Sie aktiviert endlich ihre Kampfeslust und fügt sich nicht länger in das, was ihr Mann offensichtlich zu ihrem Schicksal erkoren hat: immer nur nach ihm zum Zuge zu kommen.

Paar-Vignette 2: Selbstbehauptung und Rücksichtnahme
Paar-Vignette 3: Kooperation und Abgrenzung
Paar-Vignette 4: Bindung und Freiheit

Neid in Partnerschaften: Literatur

Frauen haben ein neues Rollenverständnis in der Liebesbeziehung

Teil 1: Neid und Konkurrenz bei Paaren

Exkurs: Neid im Tierreich – Ein Versuch mit Kapuziner-Affen von Frans de Waal
Teil 19: Anlässe für Neid in Liebesbeziehungen
Teil 20: Beinflussbare und nicht-beeinflussbare Neidanlässe
Exkurs: Neid und Eifersucht – nahe Verwandte
Teil 21: Wie kommt der Neid in die Liebesbeziehung?
Teil 22: Die neue Konkurrenz zwischen den Geschlechtern
Teil 23: So haben sich Liebesbeziehungen gewandelt

Selbstverwirklichung in Beruf und Partnerschaft entwickelt sich zu einem zentralen Kriterium für die eigene partnerschaftliche Zufriedenheit. Darüber hinaus koppelt die Schwangerschaftsverhütung durch die Pille das Sexualleben endgültig von der Fortpflanzung ab. Damit etabliert sich ein neues, an Lust und Befriedigung orientiertes Sexualleben. Eine liberalisierte Sexualmoral gesteht auch den Frauen ein eigenständiges sexuelles Erleben zu. Die Vielfalt partnerschaftlicher Lebensformen wächst. Scheidungen werden zum normalen Mittel, nicht funktionierende Partnerschaften aufzulösen. Das bekannte romantische Liebesideal, das eine freie Wahl des Partners schon immer propagiert, wirkt nunmehr im Untergrund unserer emotionalen Traumfabriken, während an der Oberfläche unserer Beziehungswirklichkeiten eine neue Bedürfnis- und Befriedigungskultur Einzug hält.

Diese neuen Freiheiten sind durchaus nicht immer leicht verdaulich. In den letzten Jahrzehnten in den Industriegesellschaften aufgewachsen, entwickeln wir bezüglich des eigenen Lebensentwurfs häufig widerstreitende Bedürfnisse und Interessen: Ein Teil von uns sehnt sich nach Geborgenheit, nach einem vertrauten Lebenspartner und dem Ende der Einsamkeit. Ein anderer Teil von uns entwirft Pläne für das eigene Fortkommen, die berufliche Entwicklung, die nächsten Reiseziele, den vortrefflichsten Sparplan.

Selbstverwirklichung als Möglichkeit, die eigenen Talente optimal zu entfalten, ist ein hohes Gut geworden. Gleichwohl bleibt die Liebessehnsucht, wie auch immer romantisch vermittelt, bestehen. Die Zahl der Partnerschaften ist keineswegs kleiner geworden, nur weil die Zahl der geschlossenen Ehen gesunken ist. Die Erwartungen an die Partnerschaft sind gestiegen und mit ihnen das Risiko, damit zu scheitern.

Vielleicht auch deswegen denken wir zuerst einmal an uns selbst. Wir entwerfen zunächst Lebens- und Zukunftspläne für das eigene Wohlergehen. In diese Entwürfe geht die Vielfalt der Optionen ein, von denen wir überzeugt sind, dass sie den eigenen Sehnsüchten und unseren Möglichkeiten entsprechen: Schulbildung, berufliche Ausbildung, Studium, Sammeln von Welterfahrung, Reisen, Kinder nicht vor 30, erst einmal das Leben genießen.

Lassen wir uns auf eine Beziehung ein, so ist es erforderlich, aus dieser erprobten Selbstsicht in die Beziehungsperspektive zu wechseln. Dort mit dem geliebten Menschen einen gemeinsamen Beziehungsentwurf zu leben, gehört nicht zu den einfachsten Dingen, die wir uns vornehmen. Deswegen kommt es nicht selten vor, dass wir uns zwar in einer Beziehung sehen, aber dennoch nur den eigenen Lebensentwurf verfolgen – häufig in Konkurrenz zu unserem Partner und häufig neidisch, wenn es dem Partner gelingt, den eigenen Lebensentwurf scheinbar besser zu verwirklichen als wir den unsrigen.

Teil 24: Frauen haben ein neues Rollenverständnis in der Liebesbeziehung

Neid in Partnerschaften: Literatur

So haben sich Liebesbeziehungen gewandelt…

Teil 1: Neid und Konkurrenz bei Paaren

Exkurs: Neid im Tierreich – Ein Versuch mit Kapuziner-Affen von Frans de Waal
Teil 19: Anlässe für Neid in Liebesbeziehungen
Teil 20: Beinflussbare und nicht-beeinflussbare Neidanlässe
Exkurs: Neid und Eifersucht – nahe Verwandte
Teil 21: Wie kommt der Neid in die Liebesbeziehung?
Teil 22: Die neue Konkurrenz zwischen den Geschlechtern

In den letzten 50 Jahren veränderten sich auch die Paarbeziehungen mit großer Dynamik. Während bis in die 1960er-Jahre hinein die bürgerliche Normehe dominiert und ein steter Quell von Benachteiligung und Diskriminierung der Frauen bleibt, gewinnen am Ende des Jahrzehnts neue Lebens- und Liebesformen zunehmend die Oberhand. Der Paartherapeut Jürg Willi fasst diese Veränderungen in seinem Buch Psychologie der Liebe in drei Entwicklungslinien zusammen (siehe Tabelle), die unsere Partnerschaften seither prägen: Willi erkennt eine Trendwende im Sexualleben, eine Trendwende in der Struktur von Partnerschaften und eine Trendwende in den Geschlechterrollen.

Trendwenden in Partnerbeziehungen nach 1968 (nach J. Willi, 2002, S.59)

  Sexualleben Struktur der Partnerschaft Geschlechterrollen
vor 1968 Angst vor unerwünschter Schwangerschaft restriktive Sexualmoral Monogamie, gestützt durch kirchliche Moral und Gesetz, Scheidung als persönliches Scheitern definierte komplementäre Rollen für Mann und Frau
nach 1968 Befreiung der Gefühle
Pille, liberalisierte Abtreibung, die Frau entscheidet über Kinderzahl; liberalisierte Sexualmoral, hedonistische Leitbilder, liberalisierte sexuelle Treue
Antiautoritäre Bewegung
Konsensual-Paare, Zunahme von Scheidungen und Wiederverheiratungen
Scheidung als Emanzipation
Feminismus
bessere Bildung und Ausbildung der Frauen; Erwerbstätigkeit der Frauen, finanzielle Unabhängigkeit
nach 1985 Sexualleben integriert mit Zärtlichkeit, Intimität und Konstanz der Beziehung; die neue Treue Liebe als Voraussetzung des Zusammenlebens, einvernehmliche Scheidungen Bedeutungsverlust der Geschlechterrollen, Berufskarriere von Frauen, auswärtige Kinderbetreuung, living apart together

In der gesellschaftlichen Umbruchphase verwischen Geschlechterdifferenzen, und alte Rollenvorstellungen verlieren ihre Gültigkeit. Früher ergänzten sich Männer und Frauen zu einer funktionierenden, sozialökonomischen Einheit: Er leistete die Erwerbsarbeit und brachte den für die Familie notwendigen Verdienst mit nach Haus. Sie leistete die Hausarbeit, stellte das Essen auf den Tisch, nährte und kleidete die Kinder – und erhielt dafür aus seiner Lohntüte das so genannte Haushaltsgeld.

Durch die Verschiebung der Kräfte und die Neuorientierung des weiblichen Selbstverständnisses ist in den letzten Jahrzehnten jedoch eine neue Geschlechterrivalität entstanden. Dadurch geraten bisher erprobte Beziehungsgleichgewichte durcheinander. Plötzlich ergänzen Männer und Frauen sich nicht mehr nur, sondern wetteifern um dieselben (knappen) Ressourcen: den beruflichen Erfolg, das Einkommen, die Freizeit, die Aufmerksamkeit im sozialen Umfeld, das Vertrauen der Kinder. Die Konkurrenzsituation sorgt zunächst auch für Unsicherheit, denn gerade die Männer wissen häufig noch nicht, wie sie mit den neuen Ansprüchen der Frauen umgehen sollen – zumal sie relativ schlecht auf die neue Rollenverteilung vorbereitet sind.

Willi, J.: Psychologie der Liebe. Persönliche Entwicklung durch Partnerbeziehungen, Stuttgart: Klett-Cotta 2002

Teil 24: Frauen haben ein neues Rollenverständnis in der Liebesbeziehung

Neid in Partnerschaften: Literatur

Ungerechtigkeiten zwischen den Geschlechtern

Tipps: Dem Neid mit Gelassenheit begegnen
Tipps: Mehr Gelassenheit mit Wünschen und Bedürfnissen
Exkurs: Neid im Tierreich – Ein Versuch mit Kapuziner-Affen von Frans de Waal
Teil 19: Anlässe für Neid in Liebesbeziehungen
Teil 20: Beinflussbare und nicht-beeinflussbare Neidanlässe
Exkurs: Neid und Eifersucht – nahe Verwandte
Teil 21: Wie kommt der Neid in die Liebesbeziehung?

Vor zweihundert Jahren gibt es Konflikte wie den zwischen Mandy und Mike noch nicht. Nicht nur, dass Frauen gar nicht studieren dürfen – in der Welt der bürgerlichen Ehe, die sich damals gerade als gesellschaftliches Modell zu etablieren beginnt, werden beiden Geschlechtern auch sonst streng getrennte Aufgabenbereiche zugewiesen: Sie organisiert den Haushalt und stellt dort Produkte des täglichen Bedarfs her. Er kümmert sich um sein Geschäft, ein Handwerk, ein Handelsunternehmen oder verdingt sich als Lohnarbeiter. Sie lebt eher zurückgezogen, er sorgt für die Außenkontakte. Bis zu diesem Zeitpunkt ist Konkurrenz zwischen den Geschlechtern für die allermeisten Menschen unerhört und jenseits dessen, was sie sich vorstellen können. Als zu verschieden gelten Frau und Mann. Die Unterordnung der Frau unter den Mann wird als völlig natürlich und naturgegeben betrachtet.

Wie die Frauenforscherin Florence Hervé in ihrer Geschichte der deutschen Frauenbewegung schreibt, ändert erst die industrielle Revolution etwas an dieser strikten Aufteilung. Bisher im Haushalt (von den Frauen) produzierte Dinge des täglichen Bedarfs (z.B. Seife, Bier, Kleider, Kerzen) werden nun industriell gefertigt. Die Hausarbeit wird dadurch eingeschränkt. Aber die neuen Industrien brauchen viele Arbeitskräfte, deswegen werden Frauen und auch Kinder in die Fabriken geholt. Die Industrialisierung der Gesellschaft bricht traditionelle Zuschreibungen auf, ohne allerdings die grundlegende, diskriminierende Bewertung des weiblichen Daseins als minderwertig und nachrangig schon in Frage zu stellen.

Einzelne Frauen beginnen, die obrigkeitsstaatlich und religiös abgesegnete Ungleichheit zwischen den Geschlechtern zu kritisieren. Sie setzen sich mit der Verteilung von Macht, Gütern, Bildungschancen und ihrer eigenen Rechtlosigkeit auseinander. Sie vergleichen ihr Leben und ihre Möglichkeiten mit denen der Männer – und kommen zu dem Schluss, die Benachteiligung müsse aufhören. Die privilegierte Stellung des Mannes in der Öffentlichkeit und im gesellschaftlichen Leben, in Ehe und Familie sowie die Ausübung von politischer Macht gerade auch über Frauen stellt eine so massive Herabsetzung dar, dass manche Frauen sich schon wegen des eigenen Selbstwertgefühls gegen die Ungleichheiten wehren müssen. In der Konsequenz bekämpfen sie die strukturelle Ungerechtigkeit, der Frauen über Jahrhunderte ausgeliefert sind:

  • keine Teilhabe an der Macht, obwohl Frauen immer schon die Hälfte der Bevölkerung stellen;
  • kein Wahlrecht;
  • beschränkter Zugang zu Bildung;
  • keine volle Anerkennung als rechtsfähige Subjekte in der bürgerlichen Gesellschaft;
  • weniger Lohn für die gleiche Arbeit.

Noch immer sind nicht alle Punkte, die vor 100 Jahren im Mittelpunkt standen, zur Zufriedenheit des weiblichen Teils der Bevölkerung gelöst. So schreibt das Statistische Bundesamt 2012 in einer Pressemitteilung: Frauen ver­dien­ten 2010 in Füh­rungs­positio­nen 30 % weni­ger als Män­ner. Im Schnitt beläuft sich die Lohnlücke über alle Berufsgruppen auf 22%. EU-weit kamen die Statistiker 2011 auf einen Unterschied von 16,2%, „definiert als der relative Unterschied bei den durchschnittlichen Bruttostundenlöhnen von Frauen und Männern in der gesamten Volkswirtschaft“.

Wie es zu dieser Lohnlücke kommt (Frauen haben unterschiedliche Zugangschancen zum Arbeitsmarkt, Frauen steigen seltener in Führungspositionen auf, Beruf in denen überwiegend Frauen arbeiten, werden traditionell schlechter bezahlt), wird ausführlich dargestellt von Martin Beck, leitender Regierungsdirektor beim Stat. Bundesamt, der auf dem Forum „Equal Pay Day 2011“ den verlinkten Vortrag hielt. Weitere Informationen gibt es bei der Equal-Pay-Day-Kampagne.

Es vergehen insgesamt viele Jahrzehnte, bis es den Frauen gelingt, gleiche Rechte durchzusetzen, sich den Zugang zu Bildung und Hochschule zu erkämpfen, ihr Wahlrecht ausüben zu können und grundsätzlich als gleichwertige Mitmenschen in der Gesellschaft anerkannt zu werden. Heute ist es selbstverständlich, dass Männer und Frauen ein und dasselbe Studienfach wählen können – auch wenn es noch immer eher frauenspezifische und eher männerspezifische Fächerwahlen gibt. Selbst der am längsten exklusiv den Männern vorbehaltene Militärdienst steht heute Frauen offen.

Dabei geht es den Frauen wohl von Anfang nicht darum, genauso zu sein oder so zu werden wie Männer. Auf diese Idee kommen jene neidischen Männer, denen gegen die Angst vor dem Verlust der eigenen Privilegien nichts anderes einfällt, als die Strategie der Frauen abzuwerten: „Ihr wollt ja nur so sein wie wir!“ Diese Männer sind neidisch auf den Aufstieg jener Frauen, die den Abstand zu ihnen verkleinern wollen.

Literatur:
Hervé, F. (Hrsg.): Geschichte der deutschen Frauenbewegung, Köln: Papy-Rossa 1995

Teil 23: So haben sich Liebesbeziehungen gewandelt
Teil 24: Frauen haben ein neues Rollenverständnis in der Liebesbeziehung

Neid in Partnerschaften: Literatur

Wie kommt der Neid in die Liebesbeziehung?

Tipps: Dem Neid mit Gelassenheit begegnen
Tipps: Mehr Gelassenheit mit Wünschen und Bedürfnissen
Exkurs: Neid im Tierreich – Ein Versuch mit Kapuziner-Affen von Frans de Waal
Teil 19: Anlässe für Neid in Liebesbeziehungen
Teil 20: Beinflussbare und nicht-beeinflussbare Neidanlässe
Exkurs: Neid und Eifersucht – nahe Verwandte

Neben den hauptsächlich negativen Eigenschaften des Neids steht auch das romantische Liebesideal dagegen, über den Neid ins Gespräch zu kommen. Als das romantische Beziehungskonzept entstand, waren konkurrierende Interessen zwischen den Liebespartnern undenkbar. Doch auch seitdem wir untereinander verschiedene Interessen ausgleichen müssen und auf denselben Gebieten miteinander wetteifern, hat sich an der harmonischen Idealvorstellung wenig verändert: Liebende ergänzen und unterstützen sich, aber sie konkurrieren nicht miteinander. Die Geschichte von Mandy und Mike, zwei Architekturstudenten, illustriert, wie dieses Ideal auch heutige Beziehungen beeinflusst.

Mandy und Mike

Mandy und Mike beschließen, zum Studium gemeinsam in eine andere Stadt zu ziehen. Sie haben sich während der Abiturvorbereitungen ineinander verliebt. Sie schätzen es, miteinander zu lernen, voneinander zu profitieren und bei Prüfungen füreinander die Daumen zu drücken. Sie bewerben sich für den Studiengang Architektur und brechen auf in die gemeinsame studentische Zukunft – euphorisch, beflügelt von der Liebe und dem Vertrauen zueinander.

Zum Konzept ihrer Liebe zählt auch, keinerlei Geheimnisse voreinander zu haben – und alles miteinander zu teilen, auch Kenntnisse und Fähigkeiten. Mandy hat früher mit Mike Vokabeln gebüffelt. Mike hat gemeinsam mit ihr mathematische Formeln auseinander genommen. Das Konzept allerdings erfährt erste Brüche, als sie mit der Wirklichkeit des Architekturstudiums konfrontiert werden: Es stellt sich schnell heraus, dass es Mike deutlich leichter fällt, die allgemeinen Anforderungen zu erfüllen. Er tut sich leichter mit Computern und den 3D-Programmen, die für die Gestaltung von Entwürfen unabdingbar sind.

Mandy erwartet nun gemäß ihrer Vorstellung von Partnerschaft, dass Mike ihr die Hilfe gibt, die sie braucht, im Studium genauso gut zu sein wie er. Mike versucht tatsächlich, Mandy nach Kräften in Computer- und Softwarefragen zu unterstützen. Allerdings stellt er fest, dass sich damit seine Gesamtarbeitszeit deutlich verlängert – und er quasi stellvertretend einen Teil von Mandys Studium absolviert. Sosehr er sie liebt, diese Situation führt zwangsläufig zu einem heftigen Konflikt zwischen beiden.

Mandy wirft ihrem Freund vor, sie im Stich zu lassen und sie abhängen zu wollen, um ohne sie in der neuen Stadt Fuß zu fassen. Er wiederum fragt nach, ob es denn tatsächlich ihr Herzenswunsch sei, Architektur zu studieren – und ob nicht vielleicht ein anderes Studium ihr besser täte. Das bringt Mandy erst recht auf die Palme und spornt sie an, alle Anstrengungen zu unternehmen, um ohne Mikes Hilfe durch das Studium zu kommen. Zwar müssen beide auf diese Weise schmerzvoll von den eigenen Beziehungsvorstellungen Abschied nehmen, aber die neue Unabhängigkeit führt auch zu weniger Frust in der gemeinsam verbrachten Zeit.

Allerdings eskaliert der Konflikt zwischen beiden immer wieder dann, wenn eine Projektarbeit abzugeben ist. Während Mike entspannt am Rechner sitzt und seine Entwürfe entwickelt, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen, reagiert Mandy noch immer panisch auf die Herausforderung, schläft schlecht und ist dauernd unzufrieden mit sich und ihrer Arbeit. Da das Paar mittlerweile nicht mehr gemeinsam an den Rechnern sitzt, macht sie sich ab und an auf den Weg zu seinem Arbeitsplatz, um zu sehen, wie weit er gekommen ist. Er macht sich umgekehrt nie auf den Weg zu ihr.

Kurz vor dem letzten Abgabetermin wirft sie dann noch einmal einen schiefen Blick auf seinen Entwurf, rennt stumm aus dem Zimmer und beginnt erst draußen zu schluchzen: Voller Neid muss sie anerkennen, dass sein Entwurf der bessere ist – und dass sie bei all dem Aufwand, den sie betreibt, nicht die Qualität seiner Arbeiten erreichen wird. Doch sie lässt sich dadurch nicht etwa entmutigen, sondern macht sich für eine weitere Nachtschicht an die Arbeit, den eigenen Entwurf zu verbessern – nicht um so gut zu sein wie Mike, sondern um vor sich selbst mit gutem Gewissen sagen zu können, sie habe nichts unversucht gelassen.

Teil 22: Die neue Konkurrenz zwischen den Geschlechtern
Teil 23: So haben sich Liebesbeziehungen gewandelt
Teil 24: Frauen haben ein neues Rollenverständnis in der Liebesbeziehung

Neid in Partnerschaften: Literatur

Exkurs: Neid und Eifersucht – nahe Verwandte

Teil 1: Neid und Konkurrenz bei Paaren

Tipps: Dem Neid mit Gelassenheit begegnen
Tipps: Mehr Gelassenheit mit Wünschen und Bedürfnissen
Exkurs: Neid im Tierreich – Ein Versuch mit Kapuziner-Affen von Frans de Waal
Teil 19: Anlässe für Neid in Liebesbeziehungen
Teil 20: Beinflussbare und nicht-beeinflussbare Neidanlässe

Um die psychologischen Grundlagen des Neids zu bestimmen, ist es auch notwendig, über Eifersucht zu sprechen. Neid und Eifersucht sind Gefühls-Geschwister, die sich in ihrer Leidenschaftlichkeit nichts nehmen. Zudem treten sie häufig Arm in Arm innerhalb derselben Konfliktlage auf.

Eine klassische Umbruchsituation innerhalb einer Liebesbeziehung ist die Geburt eines Kindes. Die Mutter stillt, ist dem Kind näher, verbringt mehr Zeit mit ihm, das Kind lässt sich eher von ihr beruhigen. Währenddessen entwickelt der Vater eventuell neidische Gefühle auf das Baby. Gleichzeitig spürt der Vater womöglich auch Eifersucht: Das Kind entzieht ihm die Frau, nimmt deren Aufmerksamkeit fast komplett in Anspruch und besetzt zudem mit der Brust eine Körperregion, die für ihn von erotischer Symbolkraft ist.

Die emotionalen Aufwallungen ereignen sich mit einer gewissen Zwangsläufigkeit. Es gibt kaum Väter, die zwischendurch nicht einmal eifersüchtig auf ihre Kinder wären und neidisch auf die Mütter. Die Gefühle sind normal, denn aus der Zweierkonstellation entsteht plötzlich eine Dreierbeziehung, in der sich alle neu positionieren müssen. Basiert die Beziehung zwischen Vater und Mutter auf einem stabilen Fundament, so sind sowohl die neidischen als auch die eifersüchtigen Anwandlungen nur von vorübergehender Natur.

Das Beispiel illustriert, wie sich Eifersucht ganz pragmatisch von Neid abgrenzen lässt: Zum Neid gehören zwei. Zur Eifersucht gehören drei. Der auf die Mutter neidische Vater sehnt sich danach, sein Kind genauso versorgen zu können wie die Mutter, um damit ein ähnliches intensives Verhältnis zu ihm zu bekommen. Der eifersüchtige Mann im Vater ereifert sich über den „Verlust“ der Frau an das Kind. Eifersüchtig sucht er seinen „Besitz“, die exklusive Beziehung zu seiner Geliebten, zu verteidigen. Ohnmächtig muss er allerdings sehen, wie unmöglich das zunächst ist – und wie bedrohlich ihm die Ungewissheit erscheint, ob er seine Frau jemals zurückgewinnen wird. Während Eifersucht also eher Angst davor offenbart, etwas zu verlieren, weist uns der Neid auf die Dinge hin, nach denen wir uns sehnen.

Viele Autoren weisen darauf hin, wie leicht im Alltagsgebrauch die Grenzen zwischen Neid und Eifersucht verschwimmen. Allerdings kann dabei nur Eifersucht für Neid stehen, Neid nicht umgekehrt für Eifersucht. Die Abgrenzung zwischen beiden Phänomenen ist uns also im alltäglichen Gebrauch durchaus bekannt. Der Einsatz des einen Begriffs für den anderen dient deswegen einem bestimmten Ziel.

Die Eifersucht übernimmt häufig die Rolle, stellvertretend für den Neid die heftig aufwallenden Gefühle begründen zu müssen. Außerdem erlaubt das Wort Eifersucht, ein Ventil zu öffnen, das wir im Namen des Neids nicht öffnen dürften. Es ist gesellschaftlich eher erlaubt, dass „jemandem die Pferde durchgehen“, weil er eifersüchtig zu sein vorgibt. Weitaus weniger tolerant reagiert die Öffentlichkeit indes, wenn sich derselbe Mensch auf seinen Neid beruft, um zu begründen, warum er außer Kontrolle geraten ist.

Neid gilt als unschicklich, während der Eifersüchtige durchaus auf Verständnis durch seine Umwelt rechnen darf. Obwohl es sich dabei um eine nicht minder eruptive Leidenschaft handelt, erfährt die Eifersucht weniger gesellschaftliche Ablehnung als der Neid. Insbesondere in so genannten „Eifersuchtsdramen“, über welche die Boulevardpresse gern informiert, dient die Eifersucht häufig als eine Art Tarn-Emotion, um das böse N-Wort nicht in den Mittelpunkt zu rücken.

Wie in der Liebesbeziehung erzeugt die Bedrohung durch Neid und Neider also scheinbar auch im öffentlichen Raum Berührungsängste, so dass der Neid selbst nicht direkt thematisiert wird.

Teil 21: Wie kommt der Neid in die Liebesbeziehung?
Teil 22: Die neue Konkurrenz zwischen den Geschlechtern
Teil 23: So haben sich Liebesbeziehungen gewandelt
Teil 24: Frauen haben ein neues Rollenverständnis in der Liebesbeziehung

Neid in Partnerschaften – Literaturangaben

Beinflussbare und nicht beeinflussbare Neidanlässe

Teil 1: Neid und Konkurrenz bei Paaren

Tipps: Dem Neid mit Gelassenheit begegnen
Tipps: Mehr Gelassenheit mit Wünschen und Bedürfnissen
Exkurs: Neid im Tierreich – Ein Versuch mit Kapuziner-Affen von Frans de Waal
Teil 19: Anlässe für Neid in Liebesbeziehungen

Auch wenn es nun kaum Güter gibt, die wir nicht begehren könnten, beschränken sich die möglichen Anlässe für Neid in Partnerschaften allein aufgrund der Art der Beziehung zwischen den Partnern. Während Frauen oder Männer untereinander durchaus auf bestimmte körperliche Merkmale neidisch sein können, spielt dieser Neidanlass zumindest in heterosexuellen Beziehungen eher keine Rolle.

Die folgende Tabelle fasst mögliche Neidanlässe in einer Liebesbeziehung zusammen, natürlich ohne dabei einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Die Anlässe unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Beeinflussbarkeit. Diese Unterscheidung ist für die weitere Auseinandersetzung mit dem eigenen Neid oder dem des Partners oder der Partnerin von großer Bedeutung. Ob es nämlich überhaupt möglich ist, in den Besitz eines begehrten Gutes zu gelangen, bestimmt ganz wesentlich, ob wir an unserem Neid festhalten wollen oder ob wir auch ganz gut ohne ihn leben können. Beharren wir darauf, etwas zu begehren, das wir sowieso nicht erlangen können, so muss sich früher oder später die Frage stellen, welche Funktion es für die Beziehung hat, den Neid weiter aufrechtzuerhalten.

Eventuell beeinflussbar Nicht beeinflussbar
Bildung Schönheit/Attraktivität
materieller Besitz Talente, natürliche Begabungen
Zielstrebigkeit Geschlecht
Soziale Fähigkeiten, Fertigkeiten Vorerfahrungen in der Liebe
eine große Familie spezielle berufliche Karriere
Umgang mit den Kindern spezielle Freundschaftsbeziehungen
berufliche Erfüllung spezielle berufliche Fördersituationen
soziales Netz Urvertrauen
Kochen, Feiern, Party machen soziale Herkunft
bis zu einem gewissen Grad: Kreativität Gebären, Stillen

Wegen der Austauschbarkeit des Ersehnten empfiehlt beispielsweise der Soziologe Schoeck, dem Neider nicht allzu weit entgegen zu kommen. Insbesondere wenn der Neid zu einer Persönlichkeitseigenschaft des anderen geworden ist, sind die Anlässe austauschbar. Das Verlangen richtet sich dann auf alles und jeden. An neuen Objekten der Begierde mangelt es nie. Um Schoeck noch einmal zu zitieren:

Erst wenn ein Mensch einsieht, dass bloßes Brüten in neidvollen Vergleichen mit dem Los anderer zu nichts führt, wenn jemand einsieht, wie unentrinnbar die Pein des Neidens ist, weil es ihr nie an Anlässen fehlen wird, und wenn jemand aus dieser Einsicht heraus das Neidgefühl zu einem agonalen [auf Gegnerschaft gerichteten] Trieb werden lässt, also die anderen durch eigene Leistungen „ausstechen“ möchte, ist die neue, zwar vom Neid verursachte, aber von ihm intentional grundsätzlich verschiedene Ebene des wertvermehrenden Konkurrenzverhaltens erreicht.

Neid lässt sich also in wetteiferndes Verhalten umwandeln. Gelingt uns diese Verwandlung der neidischen Energie, um eigene Ziele, Pläne, Ideen zu verwirklichen, so entlastet das die Beziehung. Es verringert das Gefühl, zu kurz zu kommen, und macht uns zufriedener mit uns selbst, aber auch zufriedener mit unserem Partner, denn wir ziehen die negative Energie von ihm ab.

Schoeck, H.: Der Neid. Die Urgeschichte des Bösen, München/Wien: Herbig 1980

Exkurs: Neid und Eifersucht – nahe Verwandte
Teil 21: Wie kommt der Neid in die Liebesbeziehung?
Teil 22: Die neue Konkurrenz zwischen den Geschlechtern
Teil 23: So haben sich Liebesbeziehungen gewandelt
Teil 24: Frauen haben ein neues Rollenverständnis in der Liebesbeziehung

Neid in Partnerschaften – Literaturangaben

Anlässe für Neid in Liebesbeziehungen

Teil 1: Neid und Konkurrenz bei Paaren

Teil 17: Sozialer Vergleich bildet Identität
Teil 18: Neid braucht die Beziehung
Tipps: Dem Neid mit Gelassenheit begegnen

Tipps: Mehr Gelassenheit mit Wünschen und Bedürfnissen
Exkurs: Neid im Tierreich – Ein Versuch mit Kapuziner-Affen von Frans de Waal

Es existiert kein Gut, kein Gegenstand, keine Fähigkeit, nichts, das uns nicht Anlass genug sein könnte, auf unsere Mitmenschen neidisch zu sein. Somit ist der Neid unabhängig vom beneideten Gut – insofern, als wir nicht das Gut selbst beneiden, sondern den psychischen Gewinn, den der Beneidete nach unserer Ansicht daraus zieht. Weil wir vermuten, wie gut es dem anderen dabei geht, wenn er seinen Besitz, seinen Erfolg genießt, reagieren wir darauf mit dem einschlägigen „Das will ich auch“. So wie in dem Film Harry und Sally, als Meg Ryan im Fast-Food-Restaurant Billy Crystal einen Orgasmus vorspielt, um zu beweisen, wie leicht es ist, einen Orgasmus vorzuspielen – und daraufhin eine andere Kundin des Restaurants die Bestellung aufgibt: „Ich will genau das, was sie hatte“.

Auch dieser Neiderin geht es nicht um den Besitz an sich, sondern um die Konsequenzen, die an den Besitz gekoppelt sind. „Was immer es war, das Meg Ryan bestellt hat – wenn es zu einem solchen Ergebnis führt, will ich das auch.“ Wir unterstellen dem begehrten Gut Gewinn bringende Eigenschaften für dessen Besitzer. Allerdings sind diese für jeden Neider verschieden – ein und demselben Gut unterstellen verschiedene Neider sehr verschiedene Wirkungen. Am Beispiel des Besitzes von Geld lässt sich das ganz trefflich illustrieren: Viel Geld bereitet mir ein sorglosen Leben. Viel Geld eröffnet mir den Zugang zu Luxusartikeln. Viel Geld ermöglicht mir, meine Freunde einzuladen. Viel Geld erlaubt das Verreisen in die weite Welt.

Durch diese relative Willkür, was die Neidanlässe betrifft, kommt es im Alltag nicht selten zu dem Phänomen, dass wir jemanden um Dinge beneiden, die er zwar besitzt, die ihm aber faktisch wenig oder nichts bedeuten. Wir übertragen nämlich den psychischen Gewinn, den wir aus dem Besitz des Gutes ziehen würden, auf den beneideten Inhaber ohne uns je ernsthaft vergewissern zu wollen, ob das den Tatsachen entspricht.

In Liebesbeziehungen führt das regelmäßig zu Missverständnissen. Unausgesprochen unterstellen wir unserem Partner, er zöge diesen oder jenen Gewinn aus dem von uns so vermissten Besitz – ohne uns einmal dem Gedanken hinzugeben, dem anderen könnte der Besitz eine Last sein. So ist es durchaus nicht immer ein Gewinn, mit gewissen Talenten ausgestattet zu sein, um die andere einen beneiden. An die Talente sind besondere Anforderungen geknüpft. Bestimmte Erwartungen müssen erfüllt werden. Andere wachen darüber, dass jemand sein Talent nicht vergeudet. Genauso kann Geld eine schwere Last für den Selbstwert desjenigen sein, der es im Übermaß besitzt, wenn der Besitz nicht auf eigenem Verdienst beruht. Vieles hängt von der Vergleichsdimension ab, aus der heraus Besitzender und Nicht-Besitzender auf das Gut schauen.

Im Hinblick auf die angenommenen positiven Wirkungen eines von uns begehrten Gutes neigen wir sehr schnell dazu, von uns auf andere zu schließen. Wir sind in unserer Einschätzung noch dazu so sicher, dass wir es nicht einmal für nötig halten nachzufragen, ob die Einschätzung auch zutrifft. Das führt nach Jahren des guten Glaubens zu Aha-Erlebnissen, die den Partner in völlig neuem Licht erscheinen lassen: „Wie? Dir war es immer ein Gräuel, mit der Geige aufzutreten? Ich dachte, du hättest es genossen, von allen dafür gelobt zu werden …“ – „Siehst du, so wenig kennst du mich! Ich habe es von klein auf gehasst, mich herauszuputzen und vor allen Onkels und Tanten spielen zu müssen.“

Teil 20: Beinflussbare und nicht-beeinflussbare Neidanlässe
Exkurs: Neid und Eifersucht – nahe Verwandte
Teil 21: Wie kommt der Neid in die Liebesbeziehung?
Teil 22: Die neue Konkurrenz zwischen den Geschlechtern
Teil 23: So haben sich Liebesbeziehungen gewandelt
Teil 24: Frauen haben ein neues Rollenverständnis in der Liebesbeziehung

Neid in Partnerschaften – Literaturangaben

Pflegereform, Pflegebedürftigkeit, Pflegeevaluation

Wer hätte das gedacht? Es bewegt sich etwas im deutschen Sozialversicherungssystem.

Die im Koalitionsvertrag der GroKo (Seite 83-86) angekündigte Pflegereform wird in ersten Einzelschritten umgesetzt. Gestern stellte Gesundheitsminister Hermann Gröhe der Öffentlichkeit die Eckpunkte vor: Neuer Pflegebefürftigkeitsbegriff, fünf Pflegegrade statt drei Pflegestufen in einem „Neuen Begutachtungsassessment“ (NBA), Anhebung der Beiträge um zunächst 0,3% vom Bruttoeinkommen, die später noch einmal um 0,2% angehoben werden.

Das addiert sich zu einem Beitragssatz von 2,55% für Menschen mit Kindern und von 2,8% für Menschen ohne Kinder – mit dem ab 2017 eine Steigerung des Leistungsumfangs von 20% erbracht werden soll. Nominell mag der Minister zurecht von 20% mehr Leistungskraft sprechen. Doch da die Zeitbemessung (Minuten-Pflege) wegfallen und menschliche Zuwendung im System berücksichtigt werden soll, wird diese Reform allenfalls als Anschubfinanzierung für einen weiteren Reformschritt dienen (können).

Ein Fünftel der Beitragssatzerhöhung (0,1%) wird zunächst einmal 20 Jahre lang in einen Vorsorgefonds eingezahlt werden, den die Bundesbank verwalten und am besten auch mehren soll. Dieser Fonds fungiert als eine Art wachsender Sparstrumpf, der die Pflegekassen entlasten soll, wenn die geburtenstarken Jahrgänge (geboren Mitte der 1950er bis Mitte der 1960er Jahre) diejenigen sind, die pflegebedürftig werden.

Der Clou an der ganzen Reform ist jedoch die gezielte Evaluation einzelner Maßnahmen vor ihrer Einführung. Das heißt, erstmals (soweit mir bekannt ist) wird eine anstehende Gesetzesreform durch wissenschaftliche Begleitforschung vorbereitet. Die Ergebnisse sollen dann in die anstehenden Novellierungen der verschiedenen Sozialgesetzbücher einfließen.

Über ein Jahrzehnt nach Einführung der Disease Manangement Programme (DMP) und anderer Innovationen in der ambulanten Versorgung (Integrierte Versorgung, Hausarztzentrierte Versorgung, Medizinische Versorgungszentren), bei denen es die Politik sträflich versäumt hat, wissenschaftliche Evaluation vor und mit der Einführung zu veranlassen, haben Regierung und Gesetzgeber offenbar dazu gelernt.

Bisher waren die politischen Mehrheiten, egal ob die rot-grüne (1998-2005), schwarz-rot, die 1. (2005-2009), oder die schwarz-gelbe (2009-2013), zwar immer reformbemüht, aber an einer Bewertung des Reformgeschehens hatte niemand wirklich Interesse. Erfreulicherweise wird das jetzt anders. Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen hat zwei Forschungsaufträge vergeben. Zum einen sollen die Auswirkungen des NBA in der stationären Versorgung erforscht werden: Evaluation des Neuen Begutachtungsassessments (NBA) – Erfassung von Versorgungsaufwänden in stationären Einrichtungen. Zum anderen wurde der Medizinische Dienst der Krankenkassen beauftragt, eine „Praktikabilitätsstudie zur Einführung des Neuen Begutachtungsassessments (NBA) zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI“ durchzuführen.

Diese Evaluierungs-Revolution verdanken wir dem Expertenbeirat zum neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff, der genau das in seinem Gutachten empfohlen hat. Ich bin gespannt, ob und wenn ja, wie die Evaluation zukünftige Gesetzgebung beeinflusst.

Wird Gesundheitsminister Gröhe nach der Europa-Wahl abgelöst?

Der Staatssekretär im Gesundheitsminsterium, Karl-Josef Laumann, hat vergangene Woche der Ärztezeitung ein Interview gegeben. Das ist zunächst nicht weiter ungewöhnlich, wäre die Fragestellung und das Setting nicht so, dass der Leser denkt: Wieso macht das nicht der Hermann Gröhe, der verantwortliche Ressortleiter, der Bundesgesundheitsminister?

Das Interview nämlich thematisiert die große Gesetzesreform im Pflegebereich, die von der GroKo gerade geplant wird – und es wäre die genuine Aufgabe des Ministers öffentlich dazu Stellung zu nehmen. Klar, Laumann ist auch der Beauftragte der Regierung für Pflege und Patientenrechte. Aber das Interview macht deutlich: Hier redet einer, der bereits Arbeits-, Gesundheits- und Sozialminister war (NRW 2005-2010) und der offenbar bereit ist, auch auf Bundesebene höhere Aufgaben zu übernehmen: „Dass ich in diesen Prozess (der Pflegereform, Z.) sehr gut eingebunden bin, sehen Sie alleine schon daran, dass es keine Besprechung zum Thema Pflege gibt, an dem mein Team und ich nicht beteiligt sind.“

Wenn der Staatssekretär solche Sätze sagt, welche Rolle spielt dann der Minister Gröhe (noch)? Ist er bereits beurlaubt? Oder bestätigen sich hier Meinungsbilder, die sich in der Selbstverwaltung der Gesetzlichen Krankenversicherung (Krankenkassen und Kassenärztliche Bundesvereinigung) herumsprechen, der Minister werde vom eigenen Haus quasi rausgemobbt, geschnitten, blockiert, behindert – weil die Ministeriumsmitarbeiter finden, dass er völlig fehlbesetzt sei – ein Eindruck, den ein Außenstehender, der sich mit der Materie ein wenig auskennt, durchaus auch haben kann.

Das Interview, das Thema und die Art und Weise, wie Laumann Stellung nimmt, und das Hörensagen aus dem Ministerium, sprechen sehr dafür, dass der Staatssekretär der kommende Mann an der Spitze des Ministeriums sein könnte. Aktuell braucht die Bundeskanzlerin bis zur Europa-Wahl im Mai jedoch Ruhe. Außerdem hat Gröhe als vorheriger Generalsekretär einen guten Stand in der Partei und kann also nicht schnöde beiseite geräumt werden.

Doch nach der Europa-Wahl gibt es sicherlich einen Posten in Europa, auf den er weggelobt werden kann. Wetten, dass…?