Regierungskommission, Kopfpauschale, Selbstverwaltung

Heute trifft sich die Regierungskommission Gesundheitswesen das erste Mal. 8 Ministerinnen und Minister, bei 15 Ministerien inklusive Kanzleramt mehr als die Hälfte der Regierung, werfen ihr Gewicht in die Waagschale, um das Gesundheitssystem voranzubringen.

Als Begleitmusik zu diesem Treffen veröffentlichte die Märkische Allgemeine vor ein paar Tagen einige Zahlen, die in der aktuell aufgeheizten Debatte sogleich auf fruchtbaren Boden fallen: 29 Euro pro Kopf als Einstieg in den Systemwechsel sollen von Röslers Ministerium angeblich geplant sein. Als Ausgleich soll der Extrabeitrag von 0,9 Prozent wegfallen, der im Moment von den Arbeitnehmern alleine getragen wird – seitdem die damalige rotgrüne Regierungsmehrheit diesen Sonderbeitrag 2004 beschlossen hat.

Wenn dies tatsächlich die angedachte Richtung ist, dann wird klar: Hier soll kein Versicherter entlastet werden. Hier wird zunächst einmal tief in die Tasche gegriffen. Eine Kopfpauschale in dieser Höhe würde (bei rund 50 Millionen vollversicherten Mitgliedern in der GKV) gigantische 17,5 Milliarden Euro in den Gesundheitsfonds spülen. Die Entlastung von 0,9 Prozent dagegen bringt den Versicherten – entsprechend der Faustregel 1 Prozent Beitrag = 10 Milliarden Euro – genau diese Summe. Netto werden die Versicherten also mit 7,5 Milliarden zur Kasse gebeten.

Aber wer weiß, vielleicht streicht das Ministerium ja noch andere Zuzahlungen, die momentan anfallen (Medikamente, Krankenhausaufenthalte, Praxisgebühr). Gleichwohl: Eine (von Kritikern befürchtete) Entlastung von Besserverdienenden ist auf diese Weise nicht mehr in Sicht. Allerdings ist auch nicht klar, woher die benötigten 5 Milliarden Euro Sozialausgleich kommen sollen.

Die Regierungskommission wird Herrn Röslers Konzept lauschen. Er wird zähneknirschendes Wohlwollen ernten und heute abend in den Nachrichten zitiert werden, er selber sei ganz entspannt und ganz froh und alles sei auf einen guten Weg gebracht – oder so ähnlich. Bis zur Wahl in NRW im Mai wird sowieso nix beschlussreif.

Und das zahlende Publikum? Sitzt da, ist genervt und resigniert. Und das System schüttet weiter Geld ohne Ende an diejenigen aus, die behaupten, uns immer gesünder machen zu wollen. An die, die unser Geld verwalten und entscheiden, wie viel davon in ihren Taschen bleibt, an die „Vampire in der Blutbank“, wie der SPIEGEL (32/2005) die Selbstverwaltung im Gesundheitssystem einmal nannte.

Wahrscheinlich müssen wir als zahlendes Publikum genau da aktiv werden: Diese Form der Selbstverwaltung in Frage zu stellen.

Update 18.03.2010
Laut Ärzteblatt sagt Minister Rösler zu den angeblichen Überlegungen, eine 29 Euro-Kopfpauschale einzuführen: „Das ist ausdrücklich nicht mein Modell.“

Wie hoch steigen die Kassenbeiträge für den Gesundheitsfonds?

Die Frage, ob die Kassenbeiträge zum Ende des Jahres 2008 deutlich steigen, habe ich schon Anfang des Jahres mit einem deutlichen “selbstverständlich” beantwortet.

Das Institut für Gesundheitsökonomik in München errechnete zu Beginn des Jahres für die arbeitgebernahe Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft einen Beitragssatz von 15,5%. Herr Lauterbach und seine Experten sehen den Beitrag zwischen 15 und 15,4%.

Am kommenden Montag steht in den Wirtschaftsmeldungen des SPIEGEL (S. 60) die vermeintliche Exklusiv-Nachricht, die AOK sähe den zukünftigen einheitlichen Beitragssatz bei 15,6%. Wie hat es die AOK geschafft, die SPIEGEL-Leute von der Exklusivität dieser Meldung zu überzeugen?

Denn es reicht, ein paar Minuten die Zahlen auf der Seite des Deutschen Ärzteblattes zusammen zu suchen, und ich weiß, um wie viele Zehntelprozentpunkte der Kassenbeitrag steigen muss, damit alle Finanzzusagen auch erfüllt werden können: 2,5 Milliarden Euro für ambulant tätige Ärzte, 1,5 Milliarden für die Krankenhäuser, 1,5 Milliarden für Mehrausgaben bei Arzneimitteln – und schon bin ich bei fünfeinhalb Milliarden. Macht allein schon 0,55%, denn jede Milliarde steht für ein Zehntel Beitragssatzpunkt.

Berechne ich Risiken ein, kalkuliere ich eine Schwankungsreserve, die für den Fonds vorgesehen ist, steigt der Milliardenbedarf weiter. Ziehe ich ein paar Milliarden Mehreinnahmen der Kassen ab, weil es mehr sozialversicherungspflichtig Beschäftigte gibt und die letzten Lohnrunden einige Erhöhungen gebracht haben, kann ich problemlos von 0,7% notwendiger Beitragssatzsteigerung ausgehen. Und ich lande bei der Zahl der AOK: 15,6%, ausgehend von gegenwärtig Beitragsdurchschnitt von 14,9%.

Soviel dazu, wie Meldungen mit Nachrichtenwert entstehen. Die AOK wird sich freuen, dass sie exklusiv im SPIEGEL erwähnt wird.

Wenn die politisch Verantwortlichen im November den neuen einheitlichen Beitragssatz unters Volk bringen, werden sie vor allem daran zu denken haben, dass die Krankenkassen nicht unterfinanziert in den Gesundheitsfonds starten. Lieber den Versicherten und den Arbeitgebern erneut mehr Geld aus der Tasche ziehen und im Wahljahr Ruhe haben, als wirklich eine Reform der Strukturen und Abläufe und der Finanzierung des Systems zu wagen, welche die halbe Republik auf die Barrikaden brächte. Auf diese Weise steigen die Kassenbeiträge bereits seit 30 Jahren unerbittlich – allen bisherigen Gesundheitsreformen zum Trotz.

Gift gegen Gaga-Gesundheitsfonds

Die Baustelle Gesundheitsfonds verleitet den bunten Gesundheits-Hund der SPD, Karl Lauterbach, Bilder von anderen sinnentleerten Baumaßnahmen zu entwerfen: Er diktierte der Süddeutschen Zeitung in den Block: „Der Fonds ist so überflüssig wie eine Autobahnbrücke ohne Autobahn.“

Allerdings: Wenn Herr Lauterbach sich äußert, ist das gut fürs Publikum, aber die Spieler im System betrachten Aussagen des Gesundheitsökonomen doch recht skeptisch. Einerseits wegen seiner konsequenten Wissenschaftler-Haltung, die mit einer gewissen Sperrigkeit in der Argumentation verbunden ist. Andererseits wegen seiner (vermeintlichen?!) Nähe zu Ulla Schmidt, als deren enger Berater er immer wieder dargestellt wird.

Am Ende ist es jedoch der Chor der Stimmen, der anschwillt, und den Fonds immer schwerer vermittelbar macht: DAK-Chef Rebscher äußerte sich Anfang Februar gegenüber DPA: Der Gesundheitsfonds sei eine „staatliche Beitragseinzugsstelle“. Er solle letztlich nur verdecken, „dass die paritätische Finanzierung der Gesetzlichen Krankenkassen weiter ausgehöhlt und der Arbeitgeber auf Dauer von der Dynamik steigender Ausgaben für die Gesundheitsversorgung abgekoppelt wird“.

Der Hinweis von Rebscher auf die zukünftig noch ungleichere Lastenverteilung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern ist wichtig, weil er bisher noch kaum bei den Beitragszahlern angekommen ist.

Die Kommunalwahl in Bayern vom vergangenen Sonntag nun leistet ihren Beitrag, den Gesundheitsfonds ernsthaft zu gefährden. Die CSU ist deutlich beunruhigt, dass ihr der Fonds (unter anderem) die Landtagswahl im September verhageln könnte. Deswegen kommt es zu Absetzbewegungen. Bei Reuters ist von CSU-Landesgruppenchef Ramsauer zu lesen: „Der zum Januar 2009 geplante Gesundheitsfonds zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen könne nur dann pünktlich starten, wenn dafür die Voraussetzungen stimmten.“

Und darum ist es schlecht bestellt – zumal Bayern (gemeinsam mit Baden-Württemberg) zu den Verlierern gehört: In beiden Ländern verdienen die Arbeitnehmer mehr. Die Kassen bekommen deswegen höhere Beiträge. Bisher kam dieses Beitragsplus nur deren Versicherten zu Gute. Nun müssen diese Mehreinnahmen zunächst in den großen Pott eingebracht werden.

Wie lange werden die Befürworter des Gesundheitsfonds (Kanzlerin, SPD-Spitze) standhalten, wenn die (unabsehbaren und/oder gefühlten) Risiken des Fonds zunehmend die Wahrnehmung der Öffentlichkeit bestimmen?

Wer im übrigen als Wahlbürger daran mitwirken will, die Einführung des Fonds noch einmal zu überdenken bzw. sogar zu stoppen, kann sich an den Petitionsausschuss des Bundestages wenden: Petition gegen die Einführung des Gesundheitsfonds.

Gesundheitsfonds

Was verbirgt sich eigentlich hinter dem öminösen Gesundheitsfonds über den dieser Tage wieder so heftig debattiert wird? (Quelle: GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (pdf))

  • Die Krankenversicherungsbeiträge (Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteil) und ein geringer staatlicher Anteil werden in einen großen Gesundheits-Topf geschüttet.
  • Das Bundesversicherungsamt (BVA) verwaltet den Fonds als Sondervermögen.
  • Daraus erfolgt die Zuweisung einer Grundpauschale pro Versichertem sowie von alters-, geschlechts- und krankheitsadjustierten Zu- und Abschlägen an die Krankenkassen.
  • Mit den Zuweisungen werden die standardisierten Leistungsausgaben (Regelversorgungskatalog laut GBA) abgegolten.
  • Der Fonds muss Liquiditäts- bzw. Schwankungsreserve bilden. Reicht die nicht aus: Bund gibt zinsloses Darlehen.
  • Ist Zuweisung durch den Fonds nicht ausreichend, kann die Kasse individuellen Zusatzbeitrag erheben (entweder 1% vom Brutto oder €8).
  • Schätzerkreis beim BVA legt erstmals zum 01.11.2008 den Beitragssatz für alle GKV-Versicherten fest.

Der Fonds ist ein Hybridwesen der Großkoalition: Vorne kommt die Bürgerversicherung rein, hinten kommt die Kopfpauschale wieder raus. SPD und CDU haben sich darauf verständigt, weil damit je nach Wahlausgang 2009 beide Parteien weiter an den eigenen Modellen basteln können.

Der Fonds wird der gesundheitspolitische Dauerbrenner im Vorwahljahr 2008.

Steigen die Kassenbeiträge?

Selbstverständlich steigen die Kassenbeiträge!

Unklar ist allerdings, in welche Höhen Sie Ende 2008 steigen, um dann in den Gesundheitsfonds zu fließen. Das Institut für Gesundheitsökonomik im München (pdf) errechnete für die arbeitgebernahe Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft einen Beitragssatz von 15,5%. Herr Lauterbach und seine Experten sehen den Beitrag zwischen 15 und 15,4%. Kommt der Fonds, wie er im GKV-WSG von SPD und CDU vereinbart wurde, werden die Kosten für viele Versicherte und deren Arbeitgeber wachsen.

Und warum ist das so?

Im Herbst 2008 wird der Finanzbedarf der GKV frisch eingeschätzt. Ein Schätzerkreis im Bundesversicherungsamt legt dann den Beitragssatz für alle Krankenkassen einheitlich fest. Der Bedarf des Fonds sollte zumindest auf ein, zwei Jahre abgedeckt sein. Medizinischer Fortschritt und eine bessere Vergütung der Ärzte fordern Anpassungen des Bedarfs nach oben. Der einheitliche Beitragssatz wird im Herbst 2008 also höher ausfallen als der durchschnittliche Beitragssatz heute. Insbesondere Versicherte der gegenwärtig eher preiswerten Betriebskrankenkassen (BKK) müssen sich auf deutlich erhöhte Beiträge gefasst machen.

Gesundheitsreform 2007 – Teil 1

Was immer die Abgeordneten heute im Bundestag meinen, beschlossen zu haben – der Eingriff in das sozialstaatliche System, wie wir es kennen, ist massiv. Über mögliche Folgen gehen die Meinungen weit auseinander.

Verabschiedet haben die Parlamentarier das GKV-WSG, das Gesetzliche Krankenversicherungs-Wettbewerbs-Stärkungsgesetz. Mit diesem Gesetz werden erstmals alle Menschen in Deutschland krankenversichert sein. Jene, die bis heute durch das Netz fallen, werden zurückgeholt ins System. Es gibt zudem den Krankenkassen in Form von Wahltarifen mehr wettbewerbliche Elemente an die Hand.
Zukünftig werden die Finanzströme neu geregelt und die Verwaltungsstrukturen der Krankenkassen sollen sich verschlanken.

Weitere Elemente des Beschlusses:

– Der Gesundheitsfonds, ab 01.01.2009. Alle Beiträge der Versicherten fließen zunächst in einen großen Topf. Aus diesem Topf erhält jede Kasse einen nach Alter, Geschlecht und Krankheitsstatus gewichteten Anteil pro Patient. Reichen einer Kasse die Mittel aus dem Fonds nicht aus, um Kosten deckend zu arbeiten, darf sie bei ihren Mitgliedern einen zusätzlichen Beitrag erheben. Die Arbeitgeberseite braucht diesen Extra-Obulus nicht an die Kasse zu entrichten. Die Versicherten tragen allein das Risiko eventuell steigender Kosten.

– Den Krankenkassen wird etwas Gestaltungsmacht genommen. Sie dürfen nicht mehr selber festlegen, welchen Beitrag sie erheben. Den legt zum 01.01.2009 der Gesetzgeber fest. Innerhalb dieses Rahmens allerdings haben die Kassen mehr Gestaltungsfreiheit (siehe Wahltarife).

Alle Kassen werden versuchen, einen Zusatzbeitrag zu vermeiden. Deswegen werden sie sich eng an ihren Pflichtleistungskatalog halten. Darüber hinaus gehende Angebote werden mittels Zusatzversicherungen finanziert.

Morgen geht’s weiter.