Klartext oder Erlösergebrabbel?

Ich habe in diesem Weblog vor einigen Tagen „Gnade für Terroristen“ gefordert. Seit ich Klars Grußwort zur Rosa-Luxemburg-Konferenz der Zeitung „Junge Welt“ gelesen habe, bereue ich diese Anteilnahme meinerseits. Nicht, weil ich den RAF-Mann plötzlich wieder für gefährlich hielte. Nicht, weil ich denke, er dürfe das nicht aufschreiben und verlesen lassen.

Vielmehr geht mir auf den Keks, dass der Typ wohl meint, mit solch schlechten Texten ein Massenpublikum zu erreichen und gar hinter sich zu scharen. Glaubt er das, hat er von der Revolution keine Ahnung. Solche Revolutionäre braucht die Welt nicht. Und wenn er sich jetzt mit jungen Leuten gemein macht, besteht die Gefahr, dass auch die wieder anfangen, solche hohlen Phrasen zu dreschen wie sie in den 70er und 80er Jahren aus den Federn der RAFler flossen. Allein die Behauptung, (wiederholt unbewiesen) die Welt sei „geschichtlich reif“ für die tolle neue Zukunft ohne Entfremdung, transportiert diese nervende Erlöserphantasie, der alle radikal Gläubigen irgendwann erliegen, egal ob sie an den Heiland, den Unaussprechlichen oder die Revolution glauben. Mit so engstirnigen Leuten will ich einfach keine Revolution machen.

Statt begnadigt zu werden, sollte Klar dazu verurteilt werden, fünfhunderttausendmal den Satz zu schreiben: „Schlechter Text. Grottiger Stil. Es wird mir nie gelingen, mehr als eine Handvoll Leser zu verzaubern.“

Ägyptischer Blogger zu vier Jahren Haft verurteilt

Blogger scheinen zunehmend unangenehm zu werden für Gesellschaften, die von oben herab bestimmen wollen, was richtig ist und was falsch.

Jetzt warnt die ägyptische Justiz alle aufmüpfigen Schreiberlinge im eigenen Land, indem sie einen Blogger für vier Jahre hinter Schloss und Riegel setzt, weil er den Staatspräsidenten Mubarak kritisiert und die Zustände in Ägypten für undemokratisch hält. Der Staatsanwalt: „Wenn wir solche wie ihn ohne Strafe davonkommen lassen, wird ein Flächenbrand ausbrechen, der alles verschlingt.“

Allerdings hoffen Bürgerrechtler genau auf diesen Flächenbrand wie die Süddeutsche Zeitung heute schreibt.

Jörg Schönbohm – der antiquierte Mann

Jetzt wirft sich ein ehemaliger General in den (Erziehungs)-Kampf. Jörg Schönbohm, Innenminister in Brandenburg, unterstellt Frau von der Leyen im Berliner Tagesspiegel, sie habe ein „antiquiertes Männerbild„.

Geschenkt. Die Wirklichkeit ist vielschichtig – und viele Männer übernehmen inzwischen Erziehungsaufgaben.

Die richtig derbe (Selbst)-Aussage des Interviews mit Schönbohm ist eine andere – und macht leider viel weniger Furore: „Und ich finde es auch nicht in Ordnung, dass sie (die Ministerin, Anm. von Zettmann) unterschlägt, wie wichtig die Liebe der Mutter und ihr persönlicher Kontakt für das Kind besonders in den ersten drei Jahren sind. Alle Wissenschaftler sind sich einig, dass Mütter für die Entwicklung der emotionalen Intelligenz von Kindern in dieser Phase maßgeblich sind.“

Da hängt er sich aber weit aus dem Fenster, der Ex-General. Und entlarvt sich selbst: Frauen sind für die Emotionen zuständig. Wollte Schönbohm nicht eine Bresche für den modernen Mann schlagen? Der nun leider doch ohne emotionale Intelligenz ist? So wie der arme Ex-General womöglich? Armer, alter Haudegen. Antiquierter Mann. In einer solch reduzierten Erlebniswelt zu leben…

Und überhaupt: Welche Daten, welche Studien belegen das? Wo sind die Quellen? Welche Wissenschaftler sind sich worüber einig? Nie sind sich ALLE Wissenschaftler über etwas einig, selbst bei den Bewertungen zum Klimawandel gibt es Abweichler. Zudem verwechselt der arme alte Mann leider Funktion und deren Inhalt: Zuwendung, Struktur, Stabilität, Geborgenheit, Wärme und noch ein paar andere Sachen sind maßgeblich – und es ist am Ende mehr oder weniger egal, ob die von Mama, Papa, Oma oder einer anderen vertrauensvollen Bezugsperson kommen. Alles andere ist ideologisch verbrämter Quark.

Wie kinder-(un)freundlich ist Deutschland?

Deutschland diskutiert über eine Studie, die UNICEF dieser Tage veröffentlicht hat. Leider ist es wieder das Mittelmaß, an dem sich die Interpreten und Kommentatoren weiden…

Ein Blick auf die letzten Seiten (sources and background information) der 52-seitigen pdf-Datei genügt, um zu erkennen, dass es sich um einen Aufguss der bereits hoch und runter diskutierten PISA-Daten handelt. Hinzu kommen Daten aus einer Reihe anderer Quellen, zum Teil Ende der 90er Jahre erhoben. Das Material weist Lücken auf, deswegen liegen beispielsweise die Niederlande vorn.

Und dann das Ranking…
Sechs Dimensionen. Aus den Rängen in diesen Dimensionen wurde ein mittlerer Rang errechnet. Grobschlächtiger und methodisch unsinniger kann Wissenschaft kaum sein. Die Rankings zur Ausbildungsqualität medizinischer Fakultäten, an denen ich beteiligt bin, belegen, wie wichtig es ist, vor allem die Rahmenbedingungen zu erfassen und diese als Einflußfaktoren in das Ranking einzubeziehen.

Warum also die Aufregung? Ich vermute, es ist gerade schick in diesem Land, die Kinderunfreundlichkeit zu beklagen. Da kommen mittelmäßige, besser: zweifelhafte Daten gerade recht. Jammern über die Lage ist in Deutschland eben weiterhin quotenträchtig, auflagenstützend und nah am „gesunden“ Volkserleben.

Gelber Curry und das Gedächtnis

Im American Journal of Epidemiology erschien im November 2006 ein bemerkenswerter Aufsatz einer Forschergruppe aus Singapur: Curry Consumption and Cognitive Function in the Elderly: Die Autoren meinen nachgewiesen zu haben, dass der häufige Verzehr von gelbem Curry zu einer besseren Gedächtnisleistung, gemessen im Mini-Mental-State-Test, führt.

Die Substanz, die im Mittelpunkt steht: Curcumin, vom Curry-Gewürz Turmeric, seine anti-oxydativen und entzündungshemmenden Wirkungen. In tierexperimentellen Studien reduzierte Curcumin beta-amyloid, jene Ablagerungen, die eng in Zusammenhang mit der Alzheimer-Erkrankung stehen. In dieser epidemiologischen Studie kontrollierten die Autoren für insgesamt 21 konfundierende Variablen: Alter, Geschlecht, diverse Erkrankungen, den Genuss von scharfen Chilischoten und eine Reihe anderer Größen.

Ergebnisse des Vergleichs zwischen den drei Bevölkerungsgruppen (Chinesen, Malayen, Inder):

Viel Curry-Konsum (also mindestens wöchentlich bis täglich) ist mit einer (adjustiert) besseren Leistung im MMS verbunden. Jene Gruppen mit wenig oder gar keinem Curry-Verzehr (einmal im halben Jahr oder seltener) schneiden im MMSE im Schnitt um einen Punkt schlechter ab. Bei all dem überlappen die Vertrauensbereiche.

Mir stellen sich die Ergebnisse so dar: Wie viel Curry die Inder auch essen, die Chinesen haben immer die bessere Leistung im MMSE. Das schreiben allerdings die Autoren nicht. Trotz Kontrolle für Bildung, gibt es weiterhin einen heftigen Bildungseffekt. Also, wer lange zur Schule geht, oder gar studiert, hat als gesunder Mensch auch ohne Curry-Konsum gute Chancen im Leistungstest gut abzuschneiden.

Wie Kinder sich entwickeln…

Ich habe im vergangenen Jahr zwei Kindergruppen erlebt: Die Krabbelgruppe meines Sohnes und seine PEKiP-Gruppe. Dabei hat mich zweierlei beeindruckt. Einerseits die strenge, biologische Programmatik, die sich entfaltet. Andererseits das weite, individuelle Spektrum, das im Rahmen des biologischen Programms möglich ist. Erst liegt das Kind auf dem Rücken, nach einer gewissen Zeit dreht es sich selbständig. Es robbt, es krabbelt, es sitzt, es stellt sich auf, es macht die ersten Schritte seitwärts, gestützt durch Stühle, Regalbretter, Wände, die elterlichen Hände.

Dieses Programm läuft bei allen Kindern innerhalb bestimmter Zeitfenster ab, manchmal etwas früher, manchmal etwas später. Nach etwa einem Jahr sind alle auf einem ähnlichen Stand.

Und so vielfältig ist die sich entfaltende Normalität: Ein Kind ist hurtig unterwegs, ein anderes wählt bedächtigere Wege, die Welt zu entdecken. Das eine Kind steht bereits mit 5 Monaten, bewegt sich allerdings kaum von der Mutter weg. Ein anderes Kind ist eher in sich gekehrt und spielt vorort. Das andere kann kaum stillsitzen, schmeißt ein Objekt durch die Gegend und hat das nächste Ziel schon ausgespäht. Wieder ein anderes Kind guckt sich erst um, bevor es handelt. Ein anderes stürzt sich sogleich ins Geschehen.

Die Mischung aus „natürlichem“ Programm und individueller Ausprägung führt schließlich zu einzigartigen Charakteren. Es ist faszinierend, das zu beobachten. Während wohl zukünftig der Einfluss des Programms auf die Entwicklung abnimmt, nimmt der kulturelle Einfluss zu. Schon die Sprachentwicklung, obwohl auch biologisch vorbestimmt, wird offenbar durch kulturelle Reize deutlich stärker beeinflusst als durch die genetisch-biologischen Abläufe. Wer den Plappermonologen seines Kindes zuhört und in sie einstimmt, erzeugt Plapperdialoge. Und wer Lieder singt, hat die Freude des Kindes erst recht auf seiner Seite. Scham über die mangelnde, eigene Stimmbildung ist an dieser Stelle erfahrungsgemäß völlig fehl am Platze. Das versteht auch der mithörende Nachbar…

Weitere Bekenntnisse zu Schnörkel und Zierrat…

Das Weblog der Software-Firma Magix macht auf bedrohte Wörter und deren Rettung aufmerksam.

Mann beißt Hund lobt derweil einen Preis aus: Wer Zierrat, Schnörkel, eben Fisimatenten in seinen Sprachgebrauch zurückholt und auch noch einen kurzen Text darüber schreibt, kann gewinnen! Und zwar ein wirklich ungewöhnliches Wochenende mit einem Volvo XC90 und einem sehr komfortablen Zeltanhänger von 3DOG camping. Camping der Luxusklasse!

Warum MbH diesen Preis ausschreibt? Sie haben es sich in den Kopf gesetzt, das Wort „Fisimatenten“ zu retten. Denn wenn es niemand mehr benutzt, würde es aussterben – einfach so, jammerschade!
Was Ihr dagegen tun könnt?

  • Ihr könnt viele Bekannte auf dieses Blog aufmerksam machen,
  • Ihr nehmt am Gewinnspiel von Mann beißt Hund teil und
  • Ihr macht öfter mal Fisimatenten.

Alles weitere erfahrt ihr unter:
http://www.mann-beisst-hund.de/fisimatenten.

Alzheimer-Medikamente – Stand der Dinge

Die (öffentliche) Diskussion in Deutschland über die modernen Anti-Dementiva (Cholinesterase-Hemmer) begann mit einer Meldung im SPIEGEL im August 2004. Im Zuge unserer systematischen Übersichtsarbeit zur Wirksamkeit der Medikamente Donepezil, Rivastigmin und Galantamin gab ich zu Protokoll: „Ich würde die Medikamente meiner Oma nicht geben“, denn die Studien strotzen vor methodischen Mängeln, die nachgewiesenen Effekte sind klein und ihr klinischer Nutzen ist sehr umstritten.

Der Aufschrei bei Psychiatern, Gerontologen, der Alzheimer-Gesellschaft und industrie-finanzierten Lobby-Vereinen wie der Hirnliga e.V. war groß.

  • „Warum stürzen Sie sich gerade auf die Alzheimer? Diese Menschen kriegen sowieso schon so wenig!“
  • „Sie verunsichern die Patienten.“
  • „Bei den Kardiologen ist die Datenlage doch auch nicht anders!“
  • „Ein Schmarr’n.“

Als die Ergebnisse unserer Arbeit im British Medical Journal erschienen, verschärfte sich der Ton zunächst noch einmal: David G. Wilkinson, persönlich betroffen, weil wir eine seiner Galantamin-Studien kritisiert haben, verstieg sich zu diesen Sätzen:

„To paraphrase Oscar Wilde this kind of review panders to the cynics who know the price of everything but the value of nothing.[…] If this stance is also taken by the similar committee in Germany the Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) it will be a triumph for the English and German Generals and a complete betrayal of those suffering in the trenches yet again. The kind of irresponsible pseudoscience demonstrated in this paper only fuels this perverse zeitgeist.“

Inzwischen hat das IQWiG seinen Vorbericht veröffentlicht. Das Institut bewertet zwar die methodische Qualität der Studien ähnlich kritisch wie wir – es kommt aber am Ende zu einem deutlich freundlicheren Fazit. In unserer Stellungnahme zum Vorbericht haben wir darauf hingewiesen: Es ist ein Widerspruch, die Studien nach strengen Regeln methodisch zu bewerten, dann aber die Ergebnisse der methodischen Bewertung bei der Einschätzung der Wirksamkeit außen vor zu lassen.

Wir warten gespannt auf den Endbericht.