Wenn Eltern ihre Kinder verwechseln…

kann es auch mal peinlich werden…

Bei zwei kleinen Kindern im Haushalt passiert es uns Eltern immer mal wieder, dass wir die Zugehörigkeiten durcheinander bringen:

Wir vertauschen im Erzählstrom die Namen der Zwerge – sicherlich ein sehr häufiges Phänomen bei mehreren Kindern. Weil beide Jungs Schnuller lieben, haben wir mehrere Größen der Beruhiger im Haus – und es kommt nicht selten zu Verwechslungen.

Kaum auseinander halten lassen sich auch die Milchtrinkflaschen. Der Große beharrt darauf, eine tägliche Ration Milch aus seiner angestammten Baby-Flasche zu trinken. Der Kleine bekommt nun das gleiche Flaschensystem. Die letzte Verwechslung bemerkte der große Sohn, weil die Tülle auf seiner Flasche plötzlich nur schwer Milch gab, er sie sonst aber relativ schnell leerschlürfen konnte. Die frisch gekaufte Tülle für den kleinen Kleinen erfordert einen viel höheren Saugaufwand.

Besonders peinlich aber war, dass ich vor kurzem dem Kleinen (Windelgröße 2) eine Windel mit Größe 5 angelegt habe, ohne es zu bemerken. Immerhin: Die umgekehrte Verwechslung wäre mir wohl schon auf dem Wickeltisch aufgefallen…

CDU will Zentralregister für alle Bürger

Nachdem ich gestern schon den Kopf geschüttelt habe, als der neue Referententwurf zum Bundesmeldegesetz bekannt wurde, der eine zentrale Erfassung aller Bundesbürger will, wird heute klar, dass nicht Schäuble einsam und allein diesen Kurs fährt, sondern die gesamte Union. Der CDU-Innenpolitiker Binninger sagte der Taz: “Das Zentralregister ist für uns alternativlos.”

Laut Süddeutscher Zeitung “müssen alle 5300 Meldebehörden künftig eine Liste von etwa 30 Angaben an das Bundesmelderegister übermitteln, darunter aktuelle und frühere Adressen, die Religionszugehörigkeit und die Angabe, ob jemand einen Waffenschein besitzt. Auch Staatsangehörigkeiten, Passnummern und Steuerklassen sollen aufgenommen werden.”

Wenn die gegenwärtig schlechte Datenqualität von Geburts- und Adressdaten eine der Begründungen für die zentrale Erfassung ist, warum dann Steuerklassen und Religionszugehörigkeit? Wieder mal der Versuch des Schäuble-Ministeriums, die eigene Paranoia zu füttern, dem Datensammelwahn Zucker zu geben? Oder einfach nur maximal fordern, damit am Ende wenigstens die zentrale Erfassung beschlossen wird?

Was bisher geschah:

Schäubles Plan für ein Bundesmelderegister entzweit die Koalition (heise.de 27.06.08)
Innenministerium forciert Pläne für zentrales Melderegister (heise.de 07.02.08)
Datenschützer gegen zentrales Bundesmelderegister (heise.de 16.04.07)

Viral Marketing: Welche Angebote kriegen andere Blogger?

Ich habe gestern die Anfrage erhalten, ob ich in meinem Blog über eine neue Internetplattform berichten könne. Ich habe da ein paar Fragen hinein in die Blogosphäre: Kriegt Ihr anderen Blogger auch solche Mails? Wenn ja, wie viele? Und: Sind manche davon auch lukrativ? Bzw. wovon hängt das ab?

Na ja, immerhin ist mir ein iPod-Shuffle angeboten worden… Sicher nichts im Vergleich zu den Einnahmen von Horst Schlämmer, aber ich bin auch nur der Zettmann.

Ich zitiere:

– schnipp –

“Sehr geehrter Dr. Zimmermann,

wir sind über Ihren Blog auf Sie aufmerksam geworden und wollten anfragen, ob Sie für uns eine neue Internetplattform anschauen und Ihre Meinung darüber berichten würden – wenn es thematisch zu Ihrem Blog passt.

[…]

Als Dankeschön erhalten Sie von uns einen Trekkingrucksack, einen USB Stick oder einen iPod shuffle.
Wählen Sie einfach aus, was Ihnen am besten gefällt.”

– schnapp –

Soll ich zusagen oder absagen? Oder bin ich jetzt für die Viral-Marketing-Leute uninteressant geworden?
Fragt sich der Zettmann.

OLPC G1G1: Ein XO-Laptop für mich

Endlich ist er da, der lang ersehnte XO-Laptop der Initiative “One Laptop Per Child” (OLPC). Die hat es sich zum Ziel gesetzt, Kinder in Entwicklungsländern mit Computern auszustatten. Diese Maschinen sollen Hundert Dollar in der Herstellung kosten und sind zugeschnitten auf die Anwenderbedürfnisse in entlegenen und vor allem armen Gegenden der Welt (Faktoren: Wetter, Vernetzung untereinander, Stromversorgung, intuitive Bedienbarkeit).

Letztes Jahr im Herbst kurbelte der OLPC-Verein die Spendenfreudigkeit der Nerds in USA und anderswo an: In Umkehrung des sonstigen kommerziellen Mottos “Buy one, get two”, starteten sie die Aktion “Give one, get one” (G1G1) – einer in die 3. Welt, einer für den Käufer. Also: Ich kaufe zwei und kriege einen. Der andere landet in Nigeria, Kenia oder Indien.

Und nun ist er da. Ich bin gespannt. Und Söhnchen fragt: “Was ist das Grüne da?”

Überwachen, Daten sammeln, Ausspähen – die neue Wissenskultur

Meine Erregungskurve über die Informationsbeschaffung á la Telekom bleibt eher flach. Was soll ich mich auch aufregen, wenn doch Lidl und andere Einzelhandelsketten sogar Kameras nicht nur auf Kunden, sondern auch auf die eigenen Mitarbeiter richten?

Was soll mich noch aufregen, wenn der Staat selber Daten auf Vorrat speichert bzw. speichern lässt, nur weil sie vielleicht zukünftig einmal nützlich werden könnten.

Was soll ich mich aufregen, wenn die Verletzung der Privatsphäre so weit gediehen ist, dass mein Staat mich zwingt, eine biometrische Eigenschaft wie meinen Fingerabdruck in den Reisepass aufzunehmen?

Was soll mich aufregen, wenn selbst meine Nachbarin ihre Nachbarschaftsstreitigkeiten mit einer Überwachungsmaßnahme im öffentlichen Raum klärt: Flink eine Kamera in unserem Treppenhaus installiert, dann – angeblich mit Duldung der Polizei und deren Rat – unsere Briefkästen beobachten, um einen Verdacht gegen eine andere Nachbarin mit einem in-flagranti-Video zu belegen.

Wenn es also in diesen Tagen in dieser Republik möglich ist, einen informationellen Vorteil gegenüber einem Dritten zu erlangen, wird kaum eine Maßnahme gescheut, diesen Vorteil auch zu erlangen – egal ob es sich beim Vorteilsnehmer um den Staat, ein Unternehmen oder den einzelnen Bürger handelt. Die Techniken (kleine, überschaubare Hardware oder auch Data-Mining-Software, die Hundertausende von Datensätzen abgleichen kann) stehen zur Verfügung. Also werden sie genutzt.

Kein Grund also, sich nun staatstragend ausgerechnet über die Telekom aufzuregen.

PS.: Wen es interessiert, kann sich meine Stasi-Akte anschauen! Vielleicht trägt die DDR-Erfahrung ja auch dazu bei, dass die Erregungskurve nicht allzusehr in die Höhe schießt.

Schäuble lehrt Telekom Datenschutz

Dass nun ausgerechnet der oberste Vorratsdatenspeicherer der Republik, Innenminister Schäuble, die Telekommunikationsbranche zum Gespräch nach Berlin einlädt, um sie über den Umgang mit sensiblen (Kunden)-Daten zu belehren, ist an Ironie kaum zu überbieten.

Was wird er der Branche mit auf den Weg geben? Eventuell die Beachtung des auch im Fall Telekom verletzten, elften Gebots: Du sollst dich nicht erwischen lassen!

Das eingeschlossene Hirn – Teil 5

Ende der 1990er Jahre entwickelte der Tübinger Psychologe Niels Birbaumer ein computergestütztes Gedankenübersetzungsgerät. Das Gerät eröffnete Menschen mit dem Locked-In-Syndrom die Möglichkeit, wieder mit der Außenwelt zu kommunizieren, zu schreiben, das Licht im Zimmer an und aus zu schalten. Aus Anlass des Filmstarts von „Schmetterling und Taucherglocke“ (wieder)-veröffentliche ich ein Gespräch mit Birbaumer (Psychologie Heute 11/98) über die Neuroprothese, die dahinter stehende Lerntheorie und den Konstruktivismus.

Teil 4

Zettmann: Beschäftigt sie als Psychologe der Gedanke, welche Auswirkungen direkte Schnittstellen auf die menschliche Identität haben könnten?

Birbaumer: Eigentlich nicht. Natürlich beschäftigt es mich aus philosophischer Sicht, weil wir dadurch mit alten philosophischen Fragen konfrontiert werden. Wenn man das aber spezifisch betrachtet, das eigene Gehirn zu kontrollieren, dann wirkt das auf den ersten Blick etwas futuristisch und philosophisch besonders interessant. Bei genauerem Hinschauen ist das aber alles nicht viel mehr wie Fußballspielen. Es ist eine Methode, bei der man statt der Muskelzellen die Gehirnzellen über Training zu bestimmten Fertigkeiten bringt. Die Mechanismen sind exakt dieselben wenn sie einen Sport oder eine Sprache lernen: Klassisches und instrumentelles Lernen, es unterscheidet sich durch nichts von etwas anderem.

Z: Ist es nicht ein neue Qualität menschlichen Erlebens, durch Gedankenübertragung eine Maschine zu steuern?

Birbaumer: Das glaube ich nicht. Wenn ihre Muskeln intakt sind, setzen sie die ja auch mit einem Gedanken in Bewegung. Und damit können sie ein Rad steuern oder ein Auto. Gehirnzellen sind nichts anderes wie Muskelzellen, die zum Denken da sind. Und die funktionieren nach denselben Prinzipien. Ein Gedanke ist nichts anderes als eine elektrische Veränderung und die kann einen Muskel steuern, einen Gedanken entwickeln oder in unserem Fall einen Rechner bedienen. Da sehe ich keinen besonderen qualitativen philosophischen Sprung. Der Vorteil ist, näher an die Psyche heranzukommen. Ich komme näher an das Geschehen heran, das die Psychologie zum Gegenstand hat. Die Prinzipien nach denen das funktioniert sind immer dieselben, so wie sie die Herren Pawlow, Skinner oder Thorndyke formuliert haben.
Das interessiert zwar die Psychologen heute nicht mehr, weil sie sich mit anderen, angeblich besseren Dingen beschäftigen – aber deswegen kommt die Psychologie als Wissenschaft speziell in Deutschland nicht weiter.

Z: Aus konstruktivistischer Sicht klingt das nach einem arg vereinfachten Weltbild…

Birbaumer: Natürlich, als Konstruktivist bereitet einem das Probleme. Die entstehen aber schon in der Praxis, wenn man mit solchen Patienten arbeitet wie wir. Die können ihre Welt nicht mehr konstruieren, sondern die sind in dieser Welt eingeschlossen. Und trotzdem ist ihre innere Welt überhaupt nicht anders wie unsere. Sie ist nur nicht mehr mitteilbar, sie hat keine Wirkungen mehr und es kann daher mit ihr nichts mehr konstruiert werden. Aber die Innenwelt wird weiter konstruiert, ein wenig verändert zwar, aber weiter konstruiert. Das erkennt man, wenn man direkt mit dem Gehirn der Patienten kommuniziert. Dann sehen sie, dass es die Konstruktion des Gehirn selbst ist, die die Welt konstruiert. Wenn sich die Konstruktivisten darauf einlassen, bin ich auch wieder Konstruktivist. So wie der Konstruktivismus sich jetzt gebiert, mit diesem ganzen Piaget´schen Rummel und diesen Pseudokonstruktionsideen, dass der Mensch sich die Welt konstruiert und dass das, was wir hier vor uns haben die Konstruktion der Innenwelt und sonst nichts sein soll, halte ich für absoluten Blödsinn und für gefährlich. Wir konstruieren uns nicht die Welt, unabhängig von der Welt. Das geben die Konstruktivisten natürlich auch zu, aber sie sagen, die Welt sei unsere Konstruktion. Das stimmt nicht, weil die Korrelation zwischen der Welt und unseren Hirnkonstruktionen der Welt so hoch ist, dass ich nicht mehr sagen kann, das habe ich konstruiert: Es ist die Welt, die mein Gehirn konstruiert, nicht umgekehrt.

Z: Zumal ich ja mit meinem Gehirn in eine bereits vorfindbare Welt hinein geboren werde…

Birbaumer: … und das Gehirn ist zu Beginn eine Tabula Rasa. Nehmen sie ein Kind, sperren sie es 20 Jahre ein, es lernt nie Sprache, lernt nie Sozialverhalten, konstruiert keine Welt. Und unsere Patienten sind das in diesem Spätzustand. Die verändern sich psychisch in einer Reihe von Faktoren, aber sie können keine Welt mehr konstruieren. Aber mit Hilfe unseres Gerätes können sie es bis zu einem gewissen Grade.

Z: Wird es über solche oder ähnliche Schnittstellen möglich sein, direkt an Sinneszentren heranzukommen?

Birbaumer: Ja, natürlich. Wir experimentieren mit dem MEG, bei dem ich die Hirnaktivität sehr viel genauer, mit Zonen von 1 mm Größe, erfassen kann. Es lassen sich als auf 1 mm genau die Magnetfelder messen, die sich dann wieder kontrollieren lassen. Zwischen 10000 und 100000 Zellen können nach einem entsprechenden Lernprozeß reguliert werden. Damit können sehr spezifische Dinge verändert werden, z. B. einzelne Sinneseindrücke. Allerdings glaube ich nicht, dass sich diese Technik für Prothesen eignet, denn eine Sinnesprothese bspw. bei Blinden muß noch spezifischer sein. Dort müssen einzelne Nervenzellen angesprochen werden können, da kommen wir in der notwendigen Genauigkeit nicht ran.
Das ist aber auch nicht mein primäres Interesse. Als Psychologe interessieren mich Leistungsverbesserungen oder -verschlechterungen, Änderungen der Ausdehnungen kortikaler Felder, Verbesserung ganz spezifischer Lernleistungen. Für solche tatsächlich psychologischen Probleme oder für Krankheiten, bei denen solche Probleme eine Rolle spielen – Alzheimer‘sche Erkrankung, Epilepsie, Parkinson, alle chronisch-degenerativen neurologischen Erkrankungen. Dafür könnte unsere Methode in Zukunft von Nutzen sein.

Z: Herr Birbaumer, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Das eingeschlossene Hirn – Teil 4

Ende der 1990er Jahre entwickelte der Tübinger Psychologe Niels Birbaumer ein computergestütztes Gedankenübersetzungsgerät. Das Gerät eröffnete Menschen mit dem Locked-In-Syndrom die Möglichkeit, wieder mit der Außenwelt zu kommunizieren, zu schreiben, das Licht im Zimmer an und aus zu schalten. Aus Anlass des Filmstarts von „Schmetterling und Taucherglocke“ (wieder)-veröffentliche ich ein Gespräch mit Birbaumer (Psychologie Heute 11/98) über die Neuroprothese, die dahinter stehende Lerntheorie und den Konstruktivismus.

Teil 3

Zettmann: Wie funktioniert das technische System, an das Sie die Patienten anschließen?

Birbaumer: Das EEG kommt als Gleichstromveränderung an einem speziellen Analog-Digital-Wandler an. Dort wird es auf digitale Einheiten zerlegt. Damit kann der Computer dann weiter rechnen.

Z: Wie viele Daten produziert das EEG in der Sekunde?

Birbaumer: Das hängt von der Digitalisierungsrate ab. Im Moment muß der Rechner pro Sekunde 1000 Daten vom Hirn verarbeiten. Dieselbe Datenmenge entsteht an den Elektroden am Auge. Das ist nicht soviel, das Problem ist die Geschwindigkeit. Sie müssen es dem Patienten in Echtzeit und in leicht faßlicher Form zurückmelden. Sie müssen die Daten filtern und glätten, denn das EEG produziert eine Menge Rauschen. Deswegen ist es so schwierig, die Selbstkontrolltechnik zu erlernen. Um das zu forcieren, verwenden wir Algorithmen, die die Leistungen der Patienten künstlich verbessern. Bei einem etwaigen Unterschied von 2 Mikrovolt meldet der Computer bereits 3 erreichte Mikrovolt zurück. Dann hinkt das Gehirn des Patienten ein wenig hinterher, ohne dass das zu extrem sein darf, weil das Gehirn das ansonsten erkennt und ermüdet. All das muß in Echtzeit passieren und erfordert sehr schnelle Rechner.

Z: Was kostet die gesamte mobile Einheit?

Birbaumer: Alles in allem kostet die Einheit DM 30000. Ein Gerät, mit Hilfe dessen über Muskeln kommuniziert werden kann, ist in etwa genauso teuer. Das ist der Preis für solche Neuroprothesen. Das zahlt die Krankenkasse über die Pflegeversicherung.

Z: Wie viele Patienten kämen in Frage?

Birbaumer: Es gibt keine Zahlen, denn die Diagnose des Lock-In-Syndroms alleine ist schon ein Problem. Wie kommen sie dahinter, dass der Mensch noch alles versteht, wenn der Mensch ihnen kein Signal geben kann? Wir wissen von rund 5000 bis 6000 ALS-Erkrankungen. Stastisch müßten es 100000 sein, die diese Erkrankung haben, sei es zu Hause, auf Intensivstationen, in Heimen. Sicherlich sterben sehr viele. Dennoch muß die Zahl groß sein, aber niemand will sie wirklich wissen.

Z: Sie testen ihre Geräte auch mit studentischen Versuchspersonen. Wie fasziniert sind die Testpersonen von der Apparatur?

Birbaumer: Anfänglich sind sie schon sehr fasziniert. Studenten und andere Versuchspersonen beteiligen sich gern. Aber es ist so wie mit einem Computerspiel. Sie kaufen sich ein Computerspiel, sie machen es drei Tage, dann legen sie es weg, weil es langweilig geworden ist. Das ist typisch für Biofeedback-Anordnungen. Die sind anfänglich interessant, dann merkt man, es bringt nicht viel, dann legt man es wieder weg. Die Motivation hält bei Normalpersonen nicht lange an. Nach ein paar Sitzungen müssen wir denen schon sehr viel Geld geben, damit sie weitermachen. Bei Patienten ist die Situation anders, die versprechen sich ja etwas davon.

Z: Welche Rückmeldungen bekommen sie von den Patienten, wenn sie sie in die Lage versetzen, wieder mit der Außenwelt in Verbindung zu treten? Wie motiviert sind die Patienten, das Training auf sich zu nehmen?

Birbaumer: Damit sprechen sie ein heikles ethisches Problem an. Es ist so, dass die meisten Patienten, die solche Krankheiten haben, bevor sie beatmet werden, rechtlich entscheiden können, ob sie weiterbeatmet werden wollen oder nicht. Die meisten Patienten entscheiden sich unter dem Einfluß der Ärzte oder der Angehörigen nicht für das Weiterleben. D.h. wir haben hier eine relativ selegierte, kleine Gruppe von Menschen, die sich entweder unter unserem oder anderem Einfluß entschieden hat, sich beatmen zu lassen und weiter zu leben, auch in diesem gelähmten Zustand. Das sind also schon Menschen, die eine extrem hohe Überlebens- und Motivationsfähigkeit haben. Die Mehrheit entscheidet sich für den Tod, meiner Meinung aufgrund falscher Informationen und leichtfertigem Umgang mit diesem Problem. Deswegen haben wir Patienten, die hoch motiviert sind, wieder mit der Umgebung zu kommunizieren. Die haben auch ihre Tiefs wie wir alle. Es gibt Studien, die den psychischen Zustand, die Depression dieser Patienten messen. Und sie unterscheiden sich nicht von einer normalen Kontrollgruppe, die sind wie sie und ich. Obwohl sie beatmet über Jahre in einem Stuhl sitzen und sich nicht mehr bewegen können sind diese Menschen nicht depressiver als sie.
Das wird immer übersehen, wenn man mit den Leuten redet. Wenn man das nicht kennt, macht man sich natürlich nur furchtbare Vorstellungen, denkt sich, was das wohl für ein grauenhafter Zustand ist. Der Mensch gewöhnt sich an vieles, so auch an das.

Z: Welche weiteren psychischen Effekte resultieren aus den Biofeedback-Anordnungen?

Birbaumer: Ein Effekt des Selbstkontrolltrainings, den ich nicht beweisen kann, weil wir viel zu wenige Fälle haben, scheint mir, dass die Patienten munterer, aktiver werden, dass sie stärker mit der Umgebung interagieren. Bei der Epilepsie konnten wir zudem zeigen, dass es nicht nur zu einer Reduktion der Anfälle kommt, sondern dass als positiver Begleiteffekt der IQ um bis zu 15 Punkte ansteigt. Als Nebeneffekt des Selbstkontrolltrainings werden andere Gehirnfunktionen positiv beeinflußt.

Z: Wie reagieren ihre medizinischen Kollegen auf ihre Ergebnisse?

Birbaumer: Sie wissen wie das in der Wissenschaft ist, gerade wenn sie Psychologe sind: Sie müssen das einem medizinischen Kollegen lückenlos nachweisen, am besten mit einer Doppelblindstudie – und das können wir nie.

Z: Werden ihre Ergebnisse nicht für glaubwürdig gehalten?

Birbaumer: Doch, die Mediziner glauben mir jetzt. Die glauben auch an das Epilepsie-Ergebnis, deswegen setzen sie die Biofeedback-Technik zur Anfallsvermeidung trotzdem nicht ein. Auch andere Trainingsmaßnahmen für verschiedenste Erkrankungen werden nicht verwendet, obwohl es viel billiger wäre als das Leiden konventionell einzudämmen. Doch das interessiert niemanden.

Z: Woran liegt das?

Birbaumer: Das Hauptproblem ist, dass die medizinischen Kollegen uns nicht verstehen und umgekehrt die Psychologen die Mediziner nicht verstehen, weil sie zwei völlig verschiedene Sprachen sprechen. Die Idee, dass ein biologisches Substrat wie das Hirn oder ein Muskel so funktioniert wie das Verhalten, erschließt sich einem Mediziner nicht. Umgekehrt ist es nicht anders: Welcher Psychologe interessiert sich für das Gehirn? Welcher Psychologe hat ein wirkliches Verständnis von organischen Erkrankungen? Die laufen beide nebeneinander her. Doch wenn sie sich umschauen: Was machen Psychologen? Psychotherapie, Partnerschaftsprobleme, Alltagsprobleme. Um ernsthafte Erkrankungen, für die die Psychologie durchaus Lösungen zu bieten hat, kümmern sich Psychologen nicht. Wir haben Schmerztherapien entwickelt für verschiedenste Schmerzzustände, wir haben für rein organische Erkrankungen, für Skoliose und Rückenmarksverkrümmungen Techniken entwickelt. Das interessiert keine Psychologen. Das nehme ich den Psychologen viel übler als den Medizinern. Wenn Mediziner das hören, sagen die wenigstens, das ist toll. Aber machen mußt du das selber, denn wir verstehen nichts von der Lernpsychologie. Ich würde es gern machen, aber ich brauche einen Psychologen dazu. Und die sagen dann zu mir, das interessiert uns nicht, wir behandeln Partnerschaftsprobleme. Deswegen bin aus dem Verein ausgetreten und will mit denen nichts mehr zu tun haben. Die Psychologen wissen nicht, wozu sie da sind, was ihre gesellschaftliche Funktion ist.
Finden sie mir einen Psychologen, der die Lernprinzipien noch kennt. Für die Multiplikation dieser Sache sind die Psychologen absolut essentiell. Mediziner verstehen nur die Lernprinzipien nicht. Beibringen kann man das im Prinzip jedem, aber damit umzugehen, das Fingerspitzengefühl entwickeln, wann kann ich eine Shaping-Prozedur anwenden…

Z: Beschäftigt sie als Psychologe der Gedanke, welche Auswirkungen direkte Schnittstellen auf die menschliche Identität haben könnten?

Schäubles Fingerabdruck veröffentlicht

Der Chaos Computer Club veröffentlicht in der aktuellen Nummer seiner Mitgliederzeitschrift „Die Datenschleuder“ den Fingerabdruck des Bundesinnenministers Dr. Wolfgang Schäuble.

Da nach Auskunft des Ministeriums und aller anderen Befürwörter biometrischer Daten in Ausweisdokumenten niemand, der unbescholten ist, etwas von der routinemäßigen Erfassung zu befürchten habe, sollte Herr Schäuble auch nichts zu befürchten haben, wenn sein Fingerabdruck öffentlich wird. Zitat aus der Pressemitteilung des CCC: „Wenn unsere Überwachungspolitiker auch privat meinen, was sie öffentlich vertreten, sollten sie kein Problem damit haben, ihre biometrischen Daten publiziert zu sehen.“

Digitaler Nachbau eines Schäuble-Fingerabdrucks

Blogeinträge zum Thema:

Falsche Fingerabdrücke funktionieren
Biometrischer Reisepass
Deutsche Reisepässe sicher
Ein Grundgesetz für Schäuble!
Stasi 2.0
Fingerabdrücke in Reisepässen
Der Innenminister im Datensammelwahn

Das eingeschlossene Hirn – Teil 3

Ende der 1990er Jahre entwickelte der Tübinger Psychologe Niels Birbaumer ein computergestütztes Gedankenübersetzungsgerät. Das Gerät eröffnete Menschen mit dem Locked-In-Syndrom die Möglichkeit, wieder mit der Außenwelt zu kommunizieren, zu schreiben, das Licht im Zimmer an und aus zu schalten. Aus Anlass des Filmstarts von „Schmetterling und Taucherglocke“ (wieder)-veröffentliche ich ein Gespräch mit Birbaumer (Psychologie Heute 11/98) über die Neuroprothese, die dahinter stehende Lerntheorie und den Konstruktivismus.

Teil 2

Zettmann: Wann hatten sie die Idee, auf diese Weise das Problem völlig fehlender Motorik zu umgehen?

Birbaumer: Weil das Problem auf der Hand liegt, haben das schon viele andere Leute auch versucht. Aber das mit den LKPs auf diese Weise zu versuchen, kam mir im Zusammenhang mit den Epileptikern. In der Epilepsie finden sie auch oft Zustände, in denen der Kranke völlig weg ist, während eines Anfalls oder auch im Schlaf. Dabei haben wir erkannt, dass die Leute auch in einem solchen Zustand ihre Selbstkontrolle beibehalten können. Selbst im Schlaf oder nach einem Anfall können Epileptiker ihr Gehirn wieder in den Griff bekommen. Oder auch ganz kurz vor dem Anfall, wenn es schon kurz vor der Explosion ist, können die das beherrschen. Daraus folgerte ich, dass sich diese Art der Selbstkontrolle auch für schnelle Kommunikationsequenzen wie Sprache einsetzen läßt. Wobei gegenwärtig die Kommunikationsgeschwindigkeit sehr langsam ist.

Z: Im Schnitt 80 Sekunden, um einen Buchstaben zu bestätigen…

Birbaumer: Wir hoffen, dass wir die Zeiten verringern können. Aber der Prozeß ist auch sehr anstrengend, so dass die Patienten meist nur eine Stunde über das Gerät kommunizieren können. Dann brauchen sie eine Stunde Pause, dann können sie wieder.

Z: Sie nennen das Ziel ihrer Forschungen, die elektrische Hirnaktivität zur willentlichen Steuerung von Schaltern und Computern und Sprache einzusetzen. Wie nah sind sie dem Ziel?

Birbaumer: Wir haben die Locked-In-Patienten, die vollständig gelähmt sind und künstlich ernährt und beatmet sind. Ein Teil der Patienten kann das wohl, aber diese Fertigkeit ist im Moment noch sehr labil, d.h. sie machen immer noch relativ viele Fehler. Wir müssen also Strategien finden, wie wir diese Fehler ausschalten. Daran arbeiten wir im Moment. Wir müssen die Patienten trainieren und verändern die Programme so, dass sie eine mindestens 90%ige Kontrolle über die Hirnaktivität haben, denn nur dann können sie solche Schalter oder solche Buchstabensysteme fehlerlos bedienen.

Z: Körperliche Entspannung ist nicht vorteilhaft für die Aktivität und Kontrolle der Potentiale. Welche Strategien eignen sich am besten, die LPKs zu beeinflussen?

Birbaumer: Wir fanden heraus, dass Strategien kognitiver Natur, die das Denken verwenden, Gedanken, besser sind, als Strategien, die körperliche Sachen verwenden.
Das Gehirn selbst hat keine Rezeptoren, die Sinnesorgane sind die Rezeptoren des Gehirns, es fehlen ihm die Fühler für die eigene Tätigkeit, wie sie den Muskeln zur Verfügung stehen. Dennoch muß das Gehirn, wenn es sich selber kontrollieren will, herausfinden, mit welcher Strategie die Negativierung erreicht wird. Dafür sind Gedanken notwendig, nicht Körperzustände. Bei den Gelähmten nicht, aber prinzipiell kann ich mit dem Heben einer Zehe ein bestimmtes Areal aktivieren. Aber die Aktivierung ist sehr klein. Deswegen müssen sich die Patienten Gedanken zurecht legen, deswegen braucht das Gehirn ein, zwei Sitzungen bis es herausfindet, wie es das am besten regelt. Wenn sie die Peripherie dazu verwenden (Atmung, Augenbewegung, Blutdruck steigern usw.) würden jedesmal Störfaktoren auf den Gedanken gesetzt. Es kämen also neue Informationen aus der Peripherie, die das Gehirn ablenken.
Deswegen dachten wir zuerst, meditativ entspannte Leute sind gut. Doch heute ist uns klar, dass auch die völlige Entspannung das Gehirn stört. Denn auch die völlige Entspannung muß über eine Strategie erreicht werden, die die Muskeln hemmt und schlaff hält. Wenn das einhergeht mit einer Leere der Gedanken so erzeugt das eine Positivierung. Das tun viele unserer Patienten.
Am besten funktioniert ein abgeschlagener Kopf. Wenn ich das Gehirn in eine Kühltruhe lege, wären die Einflüsse am geringsten. Unsere Patienten haben, obwohl sie praktisch nur Köpfe sind, mehr Schwierigkeiten. Zwar werden sämtliche Reize weiterhin ins Hirn geleitet, die Patienten spüren alles, sie können sich eben nur nicht mehr bewegen. Doch die Mehrzahl der Zellen im vorderen Hirnabschnitt sind tot. Wir haben Gehirne vor uns, die schwerst geschädigt sind. Das ist das wirkliche Problem, denn wir haben einen Verlust von 30-40% der Hirnzellen.

Z: Der Frontallappen darf jedoch nicht ausgefallen sein.

Birbaumer: Genau, das haben wir festgestellt. Der ist auch bei unseren Patienten intakt, aber es gehen viele Zellen verloren. Deswegen haben wir Schwierigkeiten, um die wir nicht umhin kommen. Sie lernen es trotzdem, aber langsam

Z: Wie viele Elektroden werden für das Messen der Hirnaktivitäten angeschlossen?

Birbaumer: Für das Training selbst kleben wir eine aktive Elektrode am Zentrum des Kopfes, dem Vertex (Scheitel). Wenn die Leute das 24 Stunden haben wollen, kleben wir eine Elektrode unter die Haut, zementieren sie sozusagen dauerhaft am Scheitel ein. Dort hinein wird dann der Stecker gesteckt, um den Patienten mit der Maschine zu verbinden. Weiterhin kleben wir zwei Referenzelektroden hinter den Ohren und zwei Augenelektroden, um die Augenbewegungen messen zu können. Falls der Patient mit den Augen noch etwas sagen kann, können wir im Zweifelsfall auf die Augen umschalten.

Z: Eröffnet vor allem der Computer diese neuen Kommunikationsmöglichkeiten?

Birbaumer: Ohne Rechner ist das alles ausgeschlossen. Die Programme sind hoch kompliziert und brauchen eine sehr hohe Rechengeschwindigkeit. Es werden gleichzeitig die gesamten Hirndaten erfaßt und es müssen wegen der Artefakt-Einflüsse die Augenbewegungen genau registriert werden. Der Computer vergleicht ständig, ob der Zielzustand erreicht ist. Wenn der Patient richtig reagiert, muß der Computer Buchstaben oder Worte oder Wortsequenzen darbieten. Die Sprachprogramm sind sehr komplex, jeder Patient hat sein eigenes Lexikon. Das Programm ist so beschaffen, dass der Computer in einer bestimmten Sequenz Buchstaben anbietet, dann setzt der Patient die Anfangsbuchstaben zusammen. Aus dem Lexikon des Patienten wählt der Computer dann das richtige, vollständige Wort aus. Ansonsten dauerte das zu lange. Gleichzeitig verarbeitet der Computer permanent die Hirnaktivität. Es muß ein kleiner Rechner sein, denn Patienten liegen zu Hause oder auf der Intensivstation, alles muß in ein kleines Wohnzimmer passen. Das wäre ohne die moderne Computertechnologie nicht einmal anzudenken, ausgeschlossen.

Z: Wie funktioniert das technische System, an das sie die Patienten anschließen?

Teil 4 erscheint am 01.04.

Bisher erschienen:
Teil 1
Teil 2