Schäubles Fingerabdruck veröffentlicht

Der Chaos Computer Club veröffentlicht in der aktuellen Nummer seiner Mitgliederzeitschrift „Die Datenschleuder“ den Fingerabdruck des Bundesinnenministers Dr. Wolfgang Schäuble.

Da nach Auskunft des Ministeriums und aller anderen Befürwörter biometrischer Daten in Ausweisdokumenten niemand, der unbescholten ist, etwas von der routinemäßigen Erfassung zu befürchten habe, sollte Herr Schäuble auch nichts zu befürchten haben, wenn sein Fingerabdruck öffentlich wird. Zitat aus der Pressemitteilung des CCC: „Wenn unsere Überwachungspolitiker auch privat meinen, was sie öffentlich vertreten, sollten sie kein Problem damit haben, ihre biometrischen Daten publiziert zu sehen.“

Digitaler Nachbau eines Schäuble-Fingerabdrucks

Blogeinträge zum Thema:

Falsche Fingerabdrücke funktionieren
Biometrischer Reisepass
Deutsche Reisepässe sicher
Ein Grundgesetz für Schäuble!
Stasi 2.0
Fingerabdrücke in Reisepässen
Der Innenminister im Datensammelwahn

Das eingeschlossene Hirn – Teil 3

Ende der 1990er Jahre entwickelte der Tübinger Psychologe Niels Birbaumer ein computergestütztes Gedankenübersetzungsgerät. Das Gerät eröffnete Menschen mit dem Locked-In-Syndrom die Möglichkeit, wieder mit der Außenwelt zu kommunizieren, zu schreiben, das Licht im Zimmer an und aus zu schalten. Aus Anlass des Filmstarts von „Schmetterling und Taucherglocke“ (wieder)-veröffentliche ich ein Gespräch mit Birbaumer (Psychologie Heute 11/98) über die Neuroprothese, die dahinter stehende Lerntheorie und den Konstruktivismus.

Teil 2

Zettmann: Wann hatten sie die Idee, auf diese Weise das Problem völlig fehlender Motorik zu umgehen?

Birbaumer: Weil das Problem auf der Hand liegt, haben das schon viele andere Leute auch versucht. Aber das mit den LKPs auf diese Weise zu versuchen, kam mir im Zusammenhang mit den Epileptikern. In der Epilepsie finden sie auch oft Zustände, in denen der Kranke völlig weg ist, während eines Anfalls oder auch im Schlaf. Dabei haben wir erkannt, dass die Leute auch in einem solchen Zustand ihre Selbstkontrolle beibehalten können. Selbst im Schlaf oder nach einem Anfall können Epileptiker ihr Gehirn wieder in den Griff bekommen. Oder auch ganz kurz vor dem Anfall, wenn es schon kurz vor der Explosion ist, können die das beherrschen. Daraus folgerte ich, dass sich diese Art der Selbstkontrolle auch für schnelle Kommunikationsequenzen wie Sprache einsetzen läßt. Wobei gegenwärtig die Kommunikationsgeschwindigkeit sehr langsam ist.

Z: Im Schnitt 80 Sekunden, um einen Buchstaben zu bestätigen…

Birbaumer: Wir hoffen, dass wir die Zeiten verringern können. Aber der Prozeß ist auch sehr anstrengend, so dass die Patienten meist nur eine Stunde über das Gerät kommunizieren können. Dann brauchen sie eine Stunde Pause, dann können sie wieder.

Z: Sie nennen das Ziel ihrer Forschungen, die elektrische Hirnaktivität zur willentlichen Steuerung von Schaltern und Computern und Sprache einzusetzen. Wie nah sind sie dem Ziel?

Birbaumer: Wir haben die Locked-In-Patienten, die vollständig gelähmt sind und künstlich ernährt und beatmet sind. Ein Teil der Patienten kann das wohl, aber diese Fertigkeit ist im Moment noch sehr labil, d.h. sie machen immer noch relativ viele Fehler. Wir müssen also Strategien finden, wie wir diese Fehler ausschalten. Daran arbeiten wir im Moment. Wir müssen die Patienten trainieren und verändern die Programme so, dass sie eine mindestens 90%ige Kontrolle über die Hirnaktivität haben, denn nur dann können sie solche Schalter oder solche Buchstabensysteme fehlerlos bedienen.

Z: Körperliche Entspannung ist nicht vorteilhaft für die Aktivität und Kontrolle der Potentiale. Welche Strategien eignen sich am besten, die LPKs zu beeinflussen?

Birbaumer: Wir fanden heraus, dass Strategien kognitiver Natur, die das Denken verwenden, Gedanken, besser sind, als Strategien, die körperliche Sachen verwenden.
Das Gehirn selbst hat keine Rezeptoren, die Sinnesorgane sind die Rezeptoren des Gehirns, es fehlen ihm die Fühler für die eigene Tätigkeit, wie sie den Muskeln zur Verfügung stehen. Dennoch muß das Gehirn, wenn es sich selber kontrollieren will, herausfinden, mit welcher Strategie die Negativierung erreicht wird. Dafür sind Gedanken notwendig, nicht Körperzustände. Bei den Gelähmten nicht, aber prinzipiell kann ich mit dem Heben einer Zehe ein bestimmtes Areal aktivieren. Aber die Aktivierung ist sehr klein. Deswegen müssen sich die Patienten Gedanken zurecht legen, deswegen braucht das Gehirn ein, zwei Sitzungen bis es herausfindet, wie es das am besten regelt. Wenn sie die Peripherie dazu verwenden (Atmung, Augenbewegung, Blutdruck steigern usw.) würden jedesmal Störfaktoren auf den Gedanken gesetzt. Es kämen also neue Informationen aus der Peripherie, die das Gehirn ablenken.
Deswegen dachten wir zuerst, meditativ entspannte Leute sind gut. Doch heute ist uns klar, dass auch die völlige Entspannung das Gehirn stört. Denn auch die völlige Entspannung muß über eine Strategie erreicht werden, die die Muskeln hemmt und schlaff hält. Wenn das einhergeht mit einer Leere der Gedanken so erzeugt das eine Positivierung. Das tun viele unserer Patienten.
Am besten funktioniert ein abgeschlagener Kopf. Wenn ich das Gehirn in eine Kühltruhe lege, wären die Einflüsse am geringsten. Unsere Patienten haben, obwohl sie praktisch nur Köpfe sind, mehr Schwierigkeiten. Zwar werden sämtliche Reize weiterhin ins Hirn geleitet, die Patienten spüren alles, sie können sich eben nur nicht mehr bewegen. Doch die Mehrzahl der Zellen im vorderen Hirnabschnitt sind tot. Wir haben Gehirne vor uns, die schwerst geschädigt sind. Das ist das wirkliche Problem, denn wir haben einen Verlust von 30-40% der Hirnzellen.

Z: Der Frontallappen darf jedoch nicht ausgefallen sein.

Birbaumer: Genau, das haben wir festgestellt. Der ist auch bei unseren Patienten intakt, aber es gehen viele Zellen verloren. Deswegen haben wir Schwierigkeiten, um die wir nicht umhin kommen. Sie lernen es trotzdem, aber langsam

Z: Wie viele Elektroden werden für das Messen der Hirnaktivitäten angeschlossen?

Birbaumer: Für das Training selbst kleben wir eine aktive Elektrode am Zentrum des Kopfes, dem Vertex (Scheitel). Wenn die Leute das 24 Stunden haben wollen, kleben wir eine Elektrode unter die Haut, zementieren sie sozusagen dauerhaft am Scheitel ein. Dort hinein wird dann der Stecker gesteckt, um den Patienten mit der Maschine zu verbinden. Weiterhin kleben wir zwei Referenzelektroden hinter den Ohren und zwei Augenelektroden, um die Augenbewegungen messen zu können. Falls der Patient mit den Augen noch etwas sagen kann, können wir im Zweifelsfall auf die Augen umschalten.

Z: Eröffnet vor allem der Computer diese neuen Kommunikationsmöglichkeiten?

Birbaumer: Ohne Rechner ist das alles ausgeschlossen. Die Programme sind hoch kompliziert und brauchen eine sehr hohe Rechengeschwindigkeit. Es werden gleichzeitig die gesamten Hirndaten erfaßt und es müssen wegen der Artefakt-Einflüsse die Augenbewegungen genau registriert werden. Der Computer vergleicht ständig, ob der Zielzustand erreicht ist. Wenn der Patient richtig reagiert, muß der Computer Buchstaben oder Worte oder Wortsequenzen darbieten. Die Sprachprogramm sind sehr komplex, jeder Patient hat sein eigenes Lexikon. Das Programm ist so beschaffen, dass der Computer in einer bestimmten Sequenz Buchstaben anbietet, dann setzt der Patient die Anfangsbuchstaben zusammen. Aus dem Lexikon des Patienten wählt der Computer dann das richtige, vollständige Wort aus. Ansonsten dauerte das zu lange. Gleichzeitig verarbeitet der Computer permanent die Hirnaktivität. Es muß ein kleiner Rechner sein, denn Patienten liegen zu Hause oder auf der Intensivstation, alles muß in ein kleines Wohnzimmer passen. Das wäre ohne die moderne Computertechnologie nicht einmal anzudenken, ausgeschlossen.

Z: Wie funktioniert das technische System, an das sie die Patienten anschließen?

Teil 4 erscheint am 01.04.

Bisher erschienen:
Teil 1
Teil 2

Private Krankenkassen beschweren sich beim Verfassungsgericht

Am kommenden Dienstag vor einem Jahr (01.04.2007) ist die letzte Gesundheitsreform in Kraft getreten, das GKV-WSG (Gesetzliche Krankenversicherung-Wettbewerbsstärkungsgesetz). Fristgerecht erheben nun die privaten Versicherer Einspruch, mit einer Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe.

Warum klagen die Privaten Krankenversicherungen (PKV), obwohl doch das Gesetz scheinbar eines für die GKV ist?

Drei Punkte vor allem erregen die PKVen, denn sie könnten ihnen langfristig die Existenz kosten (eine möglicherweise nicht unbeabsichtigte Nebenwirkung der Reform):

Der erschwerte Zugang zur PKV für GK-Versicherte mit einem Brutto-Einkommen oberhalb von 47000. Früher reichte es, ein Jahr lang über dieser Versicherungspflichtgrenze zu verdienen. Dann war der Arbeitnehmer frei zu entscheiden: GKV oder PKV. Seit 01.04.2007 muss der wechselwillige Besserverdiener mindestens drei Jahre lang den Jahresdurchschnitt halten.

Wenn ich den Geist des SGB V richtig verstehe, ist es dem Gesetzgeber völlig freigestellt, wann er seine pflichtversicherten Arbeitnehmer aus der Sozialversicherungspflicht entlässt, nach einem Jahr, nach drei Jahren, nie. Ich rechne nicht damit, dass dieser Teil der Verfassungsbeschwerde Erfolg haben wird.

Anders sieht es mit dem Basistarif aus, den der Gesetzgeber sich ausgedacht hat: Der soll a) alle (Regel)-Leistungen der GKV beinhalten, b) jeden versichern, der berechtigt ist, eine private Krankenversicherung abzuschließen – ohne Prüfung des Gesundheitsstatus und c) genauso teuer sein, wie der entsprechende Tarif in der GKV.

Bisher beruhen jedoch alle Tarife der PKV auf genauen Erhebungen des individuellen Risikos des Versicherten (Alter + Geschlecht + Gesundheitsstatus = Risiko). Der Basistarif hebelt dieses Prinzip aus – und scheint mir tatsächlich massiv in das Geschäftsmodell der PKVen einzugreifen. Diesem Punkt der Beschwerde gebe ich gute Chancen.

Schließlich, als dritter Aufreger, die Wahltarife. Dabei stören sich die PKVen nicht so sehr an den Wahlpflichttarifen, welche die gesetzlichen Krankenkassen anbieten müss(t)en. Vielmehr sind es die Wahloptionstarife, die eine Gefahr für das Geschäftsmodell der PKV darstellen. Vom Selbstbehalt-, über den Kostenerstattungstarif bis hin zur Zusatzversicherung ermöglicht der Gesetzgeber der GKV, Rabatt- oder Zusatzgeschäfte, die bisher allein der PKV zugefallen sind, mit den eigenen Versicherten anzubahnen. Die Bedrohung ist klar: Warum sollte ich als GKV-Versicherter eine private Pflegezusatzversicherung abschließen, wenn meine gesetzliche Kasse mir für alle meine Bedürfnisse ein komplettes Paket schnürt?

Für diesen Teil der Beschwerde mag ich mich nicht festlegen. Ich könnte mir allerdings vorstellen, dass den GKVen sehr enge Grenzen dafür gesteckt werden, welche optionalen Tarife sie den Versicherten anbieten dürfen.

Inwieweit es sich bei der Klage in Karlsruhe um ein Jammern auf allerhöchstem Niveau handelt, darüber wird das Gericht nicht befinden. Die aktuelle Presserklärung der PKVen zum Geschäftsjahr 2007 jedenfalls erweckt den Eindruck von guter Stimmung und satter Zufriedenheit.

Das eingeschlossene Hirn – Teil 2

Ende der 1990er Jahre entwickelte der Tübinger Psychologe Niels Birbaumer ein computergestütztes Gedankenübersetzungsgerät. Das Gerät eröffnete Menschen mit dem Locked-In-Syndrom die Möglichkeit, wieder mit der Außenwelt zu kommunizieren, zu schreiben, das Licht im Zimmer an und aus zu schalten. Aus Anlass des Filmstarts von „Schmetterling und Taucherglocke“ (wieder)-veröffentliche ich ein Gespräch mit Birbaumer (Psychologie Heute 11/98) über die Neuroprothese, die dahinter stehende Lerntheorie und den Konstruktivismus.

Teil 1

Zettmann: Sie verwenden langsame kortikale Potentiale (LKP), um den Patienten Kontrolle über Hirnaktivitäten zu ermöglichen. Was sind das für Ströme und warum eignen sie sich besonders, von vollständig Gelähmten kontrolliert zu werden?

Birbaumer: Langsame kortikale Potentiale sind relativ langsame elektrische Veränderungen der obersten Hirnrindenschichten. Ich habe diese Potentiale immer untersucht, weil sie die Grundlage der Erregungsbereitschaft der Nervenzellen darstellen. Mich hat früher interessiert, was passiert, wenn ein bestimmter Teil des Gehirns in einen solchen Mobilisierungs- bzw. Erregungszustand versetzt wird, wie wirkt sich das auf Verhalten aus, denn jedes Verhalten läßt sich auf einen Zustand der Erregungserhöhung in bestimmten Hirnarealen zurückführen. Die langsamen Hirnpotentiale sind wahrscheinlich die physiologische Basis dieses Mobilisationszustandes der Nervenzellen. Zudem korrelieren sie sehr gut mit Verhalten, und als Psychologen sind wir ja stets daran interessiert, Maße zu finden, die mit Verhalten gut zusammenhängen. Die LKPs hängen nun mit Aufmerksamkeitszuwendung oder -abwendung, mit Mobilisierung für Bewegungen, mit Mobilisierung für Gedanken oder für Gefühle eng zusammen.

Z: Kommt diese Erregungsvielfalt zustande, weil es sich bei den LKPs um ein ausgedehntes System handelt, das sich in vielen Hirnregionen finden läßt?

Birbaumer: Genau, es ist ein relativ unspezifisches System, das sich in vielen Hirnregionen registrieren läßt. Jedesmal, wenn ein bestimmte Hirnregion in einen Zustand der erhöhten oder erniedrigten Erregung gelangt, sehen sie eine elektrische Negativierung oder Positivierung im Gehirn. Die können sie im EEG (Elektroenzephalogramm) oder im MEG (Magnetoenzephalogramm) relativ problemlos messen, wenngleich es nicht so einfach ist, wie das normale EEG, denn es gibt ein paar technische Schwierigkeiten, welche die meisten Leute nicht beherrschen, darum gibt es wenige Leute, die sich damit befassen.
Langsame Hirnpotentiale sind keineswegs meine Entdeckung, sie werden bereits seit 70, 80 Jahren nachgewiesen. Weil diese Potentiale so gut mit Verhalten korrelieren, lag es nahe, sie zu konditionieren. Es lag nah, herauszufinden, was passiert mit unserem Verhalten, unserem Denken, wenn wir diese Potentiale verändern. Veränderbar sind die LKPs auf verschiedene Weise: Pharmakologisch, durch Darbietung bestimmter Reize oder durch selbstkontrollierende Veränderung. Selbstkontrolle ist nur über operantes Konditionieren zu erzielen. Deswegen konditionieren wir diese Potentiale, in dem wir die Patienten dafür belohnen, dass sie sie produzieren, systematisch über viele Sitzungen. Wenn die Patienten diese Selbstkontrolle erlernt haben, können sie selbst bestimmte Hirnareale entweder erregen oder hemmen, lokal einen bestimmten Teil des Gehirns. Damit kann man Verhalten verändern oder epileptische Anfälle verhindern. Jetzt möchten wir, dass man das nutzt, um Menschen, die vollständig eingeschlossen sind, gelähmt sind, Patienten, die in einer Art Komazustand sind, doch zu erlauben, wieder mit ihrer Umgebung zu kommunizieren.

Z: Was ist unter kortikaler Negativierung und kortikaler Positivierung zu verstehen?

Birbaumer: Im Gehirn entsteht eine Negativierung dann, wenn die Zellen depolarisiert werden, d.h. wenn die Ladung der Zellmembran so verschoben wird, dass die Zelle ladungsbereit ist. Diese Ladungsbereitschaft der Zelle äußert sich in einer Negativierung, und wenn die Zelle ihre Ladungsbereitschaft verhindert, wenn sie in einen Zustand der Passivität oder der Hemmung verfällt, dann verändert sie sich hin zu einer Positivierung. Diesen Zustand der Erregungsbereitschaft und Erregungshemmung kann ich nun für ein Areal etwa in einem Umkreis von 1 cm im EEG und im MEG bis auf wenige Millimeter genau messen. Da unsere Patienten entweder zu Hause oder auf Intensivstationen liegen, brauchen wir portable Geräte, deswegen können wir das MEG dort nicht verwenden, auch wenn dies wegen der höheren Genauigkeit viel besser wäre.
Mit einer Negativierung sind also die Zellen erregungsbereit, und wenn dann ein Gedanke oder eine Bewegung ausgeführt werden soll, dann wird sie besser ausgeführt, wenn die Zelle negativ ist. Wenn sie positiv ist, wird es schlechter. Das Verhalten, also die Verhaltensbereitschaft und die Verhaltenseffizienz hängen davon ab, ob die Areale, die mein Verhalten steuern, negativ geladen sind. Wenn sie das sind, dann wird die Effizienz dieses Zellsystems, zu feuern und das Verhalten zu bewirken, besser. Wobei das für die Experimente mit den Gelähmten überhaupt keine Rolle spielt, weil wir von denen nur ein Signal aus dem Hirn erkennen wollen, das stimmt, das jedesmal funktioniert. Und dafür ist es uns egal, ob das positiv ist oder negativ.

Z: Wie lassen sich die Hirnpotentiale unter Kontrolle bringen? Welches Setting haben Sie, um operant zu kondtionieren?

Birbaumer: Das ist immer gleich. Die Patienten schauen auf den Bildschirm und sehen dort ihre langsamen Hirnpotentiale im Abstand von 2 bis 8 Sekunden in Form einer Rakete oder in Form eines Balles oder auch eines freundlichen Computers. Die Patienten sehen das über den Bildschirm laufen. Der Computer weist an, mach das Hirn negativ für 2 Sekunden, und der Patient muß eine Negativierung produzieren.

Z: Wie geschieht das?

Birbaumer: Ganz genau wissen wir das nicht. Jeder Mensch entwickelt dafür seine eigene Strategie. Jeder Mensch erzählt ihnen da eine eigene Geschichte, wie er das macht. Uns interessiert nur, dass es funktioniert. Die Patienten beobachten also die LKPs auf dem Bildschirm. Wenn das Potential eine bestimmte Höhe erreicht hat, dann fliegen der Ball oder die Rakete entweder in ein Tor oder der Bildschirm leuchtet auf oder das Gesicht lacht. Richtig Skinnerianisch.
Oder aber, wenn sie eine Positivierung produzieren sollen, dann erscheint bspw. ein B, wenn die Negativierung als A erscheint. Die Aufgabe ist dann, in zwei Sekunden eine Positivierung zu erzeugen. Und wenn der Mensch innerhalb von 2 Sekunden 5 Millionstel Volt positiv erreicht, bekommt er eine der genannten Belohnungen. Das wiederholt sich pro Sitzung etwa 150 mal. Dann wird der Bildschirm abgeschaltet und der Computer gibt nur noch aus, im Wechsel ein negatives und ein positives Signal zu erzeugen, ohne Belohnung und ohne Rückmeldung, so dass die Patienten das auch ohne diese Hilfen können. Meistens können sie es ohne Feedback sogar besser. Am Anfang braucht man das Feedback aber, um ein Gefühl zu bekommen, wie man die Potentiale kontrolliert. Die individuelle Strategie der Kontrolle muß zuerst gefunden werden.

Z: Wann hatten sie die Idee, auf diese Weise das Problem völlig fehlender Motorik zu umgehen?

Fortsetzung: Teil 3

Locked-In-Syndrom – das eingeschlossene Hirn

Heute startet der Film „Schmetterling und Taucherglocke„, Regie Julian Schnabel. Der Film nimmt sehr konsequent die Perspektive eines Menschen ein, der an einem so genannten Locked-In-Syndrom leidet: Sämtliche Muskeln (hier: bis auf ein Augenlid) sind gelähmt (nun ja, im Film hängt der Schauspieler nicht an einer Herz-Lungen-Maschine…). Kommunikation ist, wenn überhaupt, nur noch sehr eingeschränkt möglich.

Ende der 1990er Jahre entwickelte der Tübinger Psychologe Niels Birbaumer ein computergestütztes Gedankenübersetzungsgerät. Das Gerät eröffnete Menschen mit dem Locked-In-Syndrom die Möglichkeit, wieder mit der Außenwelt zu kommunizieren, zu schreiben, das Licht im Zimmer an und aus zu schalten. Aus Anlass des Filmstarts (wieder)-veröffentliche ich ein Gespräch mit Birbaumer (Psychologie Heute 11/98) über die Neuroprothese, die dahinter stehende Lerntheorie und den Konstruktivismus.

Zettmann: Mit Hilfe einer Biofeedback-Anordnung und eines leistungsstarken PC stellen Sie Patienten und Patientinnen, deren Motorik durch chronisch-degenerative Nervenerkrankungen komplett ausgefallen ist, deren Gehirn aber weiterhin Informationen verarbeitet, ein von Ihnen so genanntes Gedankenübersetzungsgerät zur Verfügung, mit dem diese Menschen wieder mit der Außenwelt kommunizieren können. Wie können Sie erfahren, dass ein Gelähmter eingeschlossen ist, wenn Sie nicht mit demjenigen kommunizieren können?

Birbaumer: Im Prinzip gar nicht, außer es steht ein System zur Verfügung, mit dem sich diagnostizieren läßt, inwieweit die Informationsverarbeitung des Patienten funktioniert. Wir testen gerade ein System, das zunehmend komplizierte Reize darbietet und die Hirnaktivität ableitet. Aus der Form der Hirnaktivität läßt sich erschließen, ob diese komplexen Reize noch verarbeitet werden. Das beginnt mit einfachen Tönen, die sich abwechseln, über den Namen des Patienten zu Sätzen, die syntaktische und semantische Fehler enthalten. So wird eine Hierarchie der Reize dargeboten. Das System leitet die Hirnaktivität ab und hinterher kann man sagen, inwieweit die Patienten die Informationen verstehen. Für diese Diagnose brauche ich dann kein willentliches Signal von den Patienten mehr. Anschließend kann das Training mit dem Gedankenübersetzungsgerät beginnen.

Z: Sie vergleichen also die bekannten Reiz-Reaktionen eines nicht-geschädigten Hirns mit den gemessenen Werten eines Patienten?

Birbaumer: Genau, die Normalwerte sind als kartographiert, die Potentialformeln sind bekannt. Mich wundert, dass das noch niemand gemacht hat. Wir haben die Literatur gesucht, aber keine gefunden. Technisch möglich ist das seit 30 Jahren.

Z: Für welche hirnorganischen Syndrome ist die Anwendung geeignet?

Birbaumer: Unser Gerät erfordert ein intaktes Großhirn. Bei Patienten mit apallischem Syndrom ist das nicht der Fall. Allerdings ist die gesamte Definition des apallischen Syndroms problematisch. Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit, dass sich jemand in einem apallischen Syndrom befindet. Es kann also sein, dass ein Mensch als Apalliker behandelt wird, weil angenommen wird, dass die Gehirnrinde nicht mehr funktioniert. In diesem Zustand kann man natürlich leben, aber für diejenigen ist unser Gerät nicht geeignet.
Es gibt jedoch pseudo-komatische oder auch echte komatische Zustände, bei denen Teile der Hirnrinde intakt sind, der Patient aber nur deswegen nicht kommunizieren kann, weil alle Muskeln gelähmt sind, weil die ganze Motorik weg ist. Dann werden diese Leute häufig als im Koma liegend bezeichnet, aber man ist dann immer wieder überrascht, wenn die Leute nach Jahren aus dem Koma aufwachen, welche Geschichten die dann erzählen. In einzelnen Fällen geschieht es, dass Patienten als Apalliker diagnostiziert werden, obwohl sie sich in einem Lock-In Zustand befinden, in Wirklichkeit also intellektuell völlig intakt sind.
Das Gerät wird somit auch für diese Patientengruppe entwickelt, aber primär für Patienten, die an chronischen neurologischen Erkrankungen leiden, die im Endzustand zu einem Locked-In-Syndrom führen – und das werden heutzutage immer mehr, weil die Patienten mit den verfügbaren lebenserhaltenden Maßnahmen am Leben erhalten werden können. Krankheiten wie die amyotrophe Lateralsklerose oder verschiedene Muskeldystrophien führen im Endzustand zu völliger Lähmung, einschließlich der Augenmuskeln. Die Leute müssen künstlich ernährt und beatmet werden, sind aber intellektuell völlig intakt. Sie können denken, sehen, hören, fühlen – sie können nur nichts wiedergeben, nicht einmal mit den Augen blinzeln.
Solange wir irgendwo im Körper noch einen Muskel finden, bevorzugen wir den Muskel gegenüber dem Gehirn als Signalgeber, weil die Muskeln in der Regel viel zuverlässiger arbeiten. Aber bei unseren Patienten funktionieren die nicht mehr gut. Wir sehen sie zu einem Zeitpunkt, wo die Muskeln noch funktionieren, da kommunizieren wir über die Augenmuskeln mit ihnen. Aber wir sehen bei Patienten, die schon viele Jahre künstlich beatmet und ernährt werden, dass nach kurzer Zeit die Muskeln so fehlerhaft werden, dass wir darüber auch nicht mehr kommunizieren können. Auch wenn sie noch Kontrolle haben, ermüden sie so schnell, so dass wir dann aufs Gehirn schalten müssen.

Z: Sie verwenden langsame kortikale Potentiale (LKP), um den Patienten Kontrolle über Hirnaktivitäten zu ermöglichen. Was sind das für Ströme und warum eignen sie sich besonders, von vollständig Gelähmten kontrolliert zu werden?

Teil 2

Was kostet es, Medikamente zu vermarkten?

Die Ausgaben für die Vermarktung von Arzneimitteln sind immer mal wieder Anlass für Dispute zwischen den Medikamentenherstellern und deren Kritikern. Die Unternehmen behaupten, keineswegs gäben sie für das Marketing mehr aus als für Forschung und Entwicklung. Die Kritiker hingegen werfen der Industrie vor, alle direkten und indirekten Vermarktungskosten überstiegen die Forschungsetats sehr deutlich.

In einer frischen Bestandsaufnahme (Gagnon MA, Lexchin J (2008) The Cost of Pushing Pills: A New Estimate of Pharmaceutical Promotion Expenditures in the United States. PLoS Med 5(1): e1) unternehmen zwei kanadische Autoren den Versuch, die Arzneimittel-Vermarktungskosten in den USA für das Jahr 2004 zu schätzen. Sie vergleichen die Angaben zweier Marktforschungsunternehmen (IMS Health Care und CAM). Dabei befragt IMS Health vor allem die Hersteller, während die CAM-Daten auf einer Mischung basieren: Befragungen von Ärzten und interne Industrie-Daten.

Zu den Vermarktungskosten gehören verschenkte Medikamentenpackungen, die Gehälter und Provisionen der Pharmareferenten, Anzeigen- und Direktvertriebskosten, Tagungsunterstützungen, die Finanzierung von Anwendungsbeobachtungen. Die IMS-Zahl von rund 27,7 Mrd. US-Dollar Vermarktungskosten im Jahr 2004 ist die offizielle Zahl der Industrie. In dieser Höhe bewegt sich auch der Aufwand für Forschung und Entwicklung. Die Zahl stützt also das Argument, keineswegs würden mehr Ausgaben in die Vermarktung als in die Erforschung von Arzneimitteln gesteckt.

Die CAM-Zahl liegt bei etwa 33 Mrd. US-Dollar. Allerdings weist CAM auf so genannte „unmonitored promotion“ hin, deren Höhe auf weitere 14,4 Mrd. Dollar geschätzt wird. Dazu gehören ethisch bedenkliche Formen der Vermarktung wie der gezielte Hinweis auf einen möglichen Off-Label-Use, also die Empfehlung, das Medikament jenseits der Zulassungsindikation zu verwenden. Das wird ergänzt durch Vermarktung in Zeitschriften, die nicht von CAM erfasst werden, durch untertreibende Angaben der befragten Ärzte, durch Nichterfassung bestimmter Arzt-Gruppen. Die Autoren kommen zu dem Schluß, dass 2004 in den USA etwa 57,5 Mrd. US-Dollar in den Marketing-Budgets der Industrie drinsteckten – fast zweimal so viel wie in den Entwicklungsetats.

Insgesamt handelt es sich bei den Vermarktungskosten um eine schwer fassbare Größe. Aber der PLoS-Beitrag macht sehr anschaulich, welche Angaben unbedingt in eine solche Rechnung hinein gehören – und er unterläuft die Strategie der Hersteller, die tatsächlichen Vermarktungskosten gering zu rechnen oder ganz zu verschleiern.

Verfassungsgericht begrenzt staatliche Überwachung

Dreimal hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in den vergangenen Wochen die Grundrechte gegen den Datensammel- und Überwachungstrieb des Staates abgewogen und abgegrenzt: Gegenstand richterlicher Entscheidungen waren Online-Durchsuchungen von Computern, die automatische Erfassung von Autokennzeichen und die Vorratsdatenspeicherung.

Dreimal machte das BVerfG dem Gesetzgeber klare Vorgaben, wie die beanstandeten Gesetze zu gestalten seien. Irritierend an der Angelegenheit ist die Arbeitsteilung zwischen Gericht und den gesetzgebenden Körperschaften. Die eine Seite entwirft maximale Forderungen und versucht den ermittelnden Behörden einen möglichst weiten Handlungsspielraum zu schaffen. Die andere Seite beschneidet anschließend den größten Wildwuchs, die unpräzisesten Formulierungen, die eklatantesten Verirrungen, in die hinein sich die jeweiligen Gesetzgeber gestürzt haben.

Das BVerfG beruhigt mich also. Es greift als Korrektiv in die gesellschaftlichen Prozesse ein, schützt die Bürger gegen den alles kontrollierenden Staat. Und doch finde ich die Entwicklung zugleich auch merkwürdig. Warum treiben es die Politiker so weit, dass sie sich von den Richtern in Karlsruhe zurück pfeifen lassen müssen? Ist es die Angst ähnlich der des Arztes vor dem Haftungsprozess? Haben die Politiker Angst davor, der unterlassenen Hilfeleistung beschuldigt zu werden, wenn es zu einer Attacke auf das Gemeinwesen kommt, die mittels Überwachung womöglich hätte verhindert werden können?

Oder ist es einfach nur die übliche Fahrlässigkeit, die heiße Nadel, der übliche halbinformierte Abgeordnete, der mal beschließt, wovon er selber keine Ahnung hat? Technik in den Alltag geholt von schlecht beratenen Leuten, die schon bei den Überschriften keine Peilung mehr haben, worum es geht – so wie hier in Hamburg bei der Geschichte mit dem Wahlstift?

So fördern die Gerichtsentscheidungen einen traurigen Zustand der parlamentarischen Demokratie zutage: Die Abgeordneten scheinen wenig in der Lage zu sein, ihren Job gescheit zu erledigen.

Tunfisch-Nudeln

Zutaten für 2 Personen:

250 gr Fusilli, 40 gr getrocknete Tomaten, 1 Knoblauchzehe, 2 El Olivenöl, 20 gr Kapern, 2 El Zitronensaft, 100 ml Weißwein, 40 gr Rucola, 1 Dose Tunfisch im eigenen Saft (185 gr Einwaage)

Fusilli kochen. Getrocknete Tomaten in Stücke schneiden, Knoblauchzehe fein hacken. Tomaten und Knoblauch mit Olivenöl, Kapern, Zitronensaft und dem Weißwein in eine Pfanne geben und aufkochen. Das Gebräu rund vier Minuten bei mittlerer Hitze köcheln lassen. Rucola waschen. Die Dose Tunfisch öffnen, abtropfen lassen und den Fisch ebenfalls in der Pfanne erhitzen. Nudeln abgießen und mit der Tunfischsoße mischen. Rucola unterheben. Mit Salz und Pfeffer abschmecken.

Fertig in 20 Minuten.

(Entnommen dem Buch Für jeden Tag – 365 Rezepte, aus dem Hause Essen&Trinken.)

Elterliche Hilflosigkeit

Was tun, wenn das Kind außer Rand und Band gerät – und der elterliche Zorn allenfalls gebremst gegen das Kind gerichtet werden kann? Wohin mit den eigenen Aggressionen, die das Kind auslöst, ohne dass ich das Kind dafür verantwortlich machen kann? Wenn es zunächst Müll aus dem Mülleimer holt und in der Wohnung verteilt, dann einen Wasserbecher über Möbel und Boden verteilt und schließlich anfängt, leere und volle Wasserflaschen zu werfen – und dabei grinsend und jauchzend durch die Wohnung rast wie ein Derwisch und dabei ruft: „Ha ha, lustich!“

Manchmal komme ich mir wie eine lahme Ente vor. Eine unmittelbare Sanktion des unerwünschten Verhaltens fällt mir häufig nicht ein. Immerhin: Nach der oben beschriebenen Show habe ich das Singen des Gute-Nacht-Lied-Reigens ausfallen lassen. Das Kind erinnerte sich beim Zubettbringen sogar daran und nahm die „Strafe“ klaglos hin. Oder war es eher die Erleichterung, dass Papa endlich mal nicht mehr seine schrägen Töne freiließ?

Fällt mir jedoch nicht unmittelbar etwas ein, ist eine avisierte Konsequenz zu sehr in die Zukunft hinein gedacht, versteht das Kind den Zusammenhang nicht mehr und die Sanktion ist wirkungslos. Was also tun? Manchmal einfach nur runterschlucken, aus der Situation rausgehen, in die Tischkante beißen? – Und einmal kräftig in die eigenen Hände klatschen, um die Energie abzuführen…

Irgendwie so etwas. Oder gibts da draußen bessere Vorschläge?